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Archiv-Artikel

berliner szenen Ein Job als Hostess

Moderne Hausierer

Ich arbeite als Aushilfskraft beim Hauptstadtkongress für Medizin und Gesundheit und frage mich: Wie viele weibliche Urologen gibt es eigentlich? Zwei männliche Freunde von mir aus München sind angehende Gynäkologen, aber Frauen, die Urologie machen, habe ich noch nicht kennen gelernt.

Ich bin kein Schlipsträger und ich falle auf. Das schwarze Jackett ist der Schlips für die Frau. Diese schicken Damen in ihren Jacketts und engen Röcken mit Strumpfhosen – trotz Hitze und Stöckelschuhen –, die vor Seriösität und Wohlstand triefen, sind in Wirklichkeit moderne Vertreter. Damit sie uns nicht an die Schnoddrigkeit, Unseriosität und Gewöhnlichkeit von Hausierern aus vergangenen Zeiten erinnern, bedarf es dieser Verkleidung.

Ich werde dafür bezahlt, dass ich auf dem Kongress im ICC zwölf Stunden lang vor einem Raum stehe und nur die Leute mit den „richtigen“ Namenschildern hineinlasse und die mit den „falschen“ bestimmt, aber freundlich abwimmle. Um mich herum haben die modernen Vertreter in ebenjenen schwarzen Jacketts ihre Stände aufgebaut. Sie schlängeln sich auf Barhockern und bieten vorbeilaufenden Leuten mit Schlips Bonbons, Kekse und Kaffee an.

Ich werde von meiner Vorgesetzten gebeten, mein Hemd etwas herunterzuziehen, da mein Bauch in dem zentimeterbreiten Spalt zwischen Hose und Hemd zu sehen ist. Als ich mit einer Tasse Kaffee „erwischt“ werde, droht sie: „Wenn das noch einmal vorkommt, müssen wir dich austauschen!“ Austauschen? Wenn man nicht funktioniert, wird man einfach ausgetauscht? Das ist neu für mich. Offensichtlich bin ich verwöhnt und realitätsfremd, trotzdem kündige ich am selben Abend. Nur wo sind die Urologinnen? MAREIKE BARMEYER