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Archiv-Artikel

zwischen den rillen Kein Friede den Chefschweinen!

Dissonanz ist Trumpf; „Lenin“, die neue Platte der Goldenen Zitronen

Das Kampfschiff kreuzt wieder. Eine knöcherne Tonfolge, ein verbeultes Punkrockriff, das Schlagzeug scharrt mit den Hufen. Sperrig arbeiten sich die ersten Takte der „Lenin“ betitelten CD von den Goldenen Zitronen voran, mit einem Loop aus lauter Unzufriedenheitsparolen. Im „Lied der Stimmungshochhalter“ zählt Schorsch Kamerun im Stakkato das Elend der Dienstleistungsgesellschaft auf, die sich ihre „Unterwerfungskompetenz“ hart antrainiert hat. Und gleich darauf hält er mit „Mila“ einen langen Monolog, in dem zu minimalistischem Georgel die Ökonomisierung von allem und jedem gegeißelt wird, weil sie die zarten Subjektpflänzchen der Jugend zerstört, und überhaupt: „Eine aufgeladene Prepaidkarte macht noch keinen eingeladenen Freundeskreis.“

Ist das noch Pogo oder schon Brecht? Über weite Strecken funktioniert „Lenin“ wie eine Collage, die Krautrockelemente, einen Schwall of Noise und Sixties-Garagen-Beats bis hin zu glöckchenweicher Improvisation übereinander schichtet. Auffällig offenherzig werden von Mense Reents auch alte New-Wave-Sequenzer reaktiviert, die im Jahr 1980 ein Alleinstellungsmerkmal der deutsch-amerikanischen Freundschaft waren. Die Folge: Es sägt und es groovt. So könnte etwa der „Turnschuh“-Song ein echter Electropunk-Burner werden. Doch beim Text ist Schluss mit lustig: Die Festung Europa, die angeschwemmten Asylanten, dazu diese fette, darke Funkyness – das sind die Widersprüche zwischen einer sich in den Clubs einigelnden Boheme und der Not da draußen, die die Zitronen dialektisch gegeneinander ausspielen.

Angeblich waren die Stücke zu „Lenin“ erst Instrumentals, die im Nachhinein vertextet wurden. Vielleicht ist deshalb der Gesang so Sprechtheater-förmig ausgefallen. Der rabaukige Unterton von früher fehlt, Kamerun klingt nur selten nach Glam. Keine Verse, no Refrains, nur ein endloses Band aus Befindlichkeitsfetzen. Passend zur inhaltlichen Schwere sind die Lyrics auf dem Beiblatt im Blocksatz abgedruckt: Mal geht es um den Frieden, den immer mehr Linke mit den Verhältnissen machen; mal ärgert man sich, weil auch Bürgermeister, Kanzler und Bankiers in den kulturellen Widerstandsbastionen ein- und ausgehen.

Diese Spreizung gehört zum Programm. Selten hat man in letzter Zeit eine Platte gehört, die genau die Ambivalenzen jener Schnittstelle markiert, an der Kulturtopfgekungel und Off-Rebellentum aufeinander treffen. Natürlich unversöhnt, mit einer bei Kraftwerk ausgeliehenen Melodie und einem heiseren „Lutsch meinen Schwanz, du Chefschwein“. Gleichwohl sind solche aufbrausenden Gesten wohl konstruiert: Dass Kamerun am Schauspielhaus Zürich inszeniert hat und Ted Gaier mit einer „König Lear“-Adaption in Berlin experimentieren durfte, wirkt sich auf die Dramaturgie der Songs mit ihren Tremolo-Stauungen und Entladungen aus. Von Punk zu Pollesch – die Goldenen Zitronen haben ihre Nische gefunden. Links zur Mitte des Kulturbetriebs, da geht noch was, da ist noch Platz. Gezielt dissonant sein, so verlangt es der Anstand der Aufständischen.

HARALD FRICKE

Die Goldenen Zitronen: Lenin (Buback Tonträger)