: Der Alleingang des Sprengmeisters
Ist Godard reif fürs Museum? Die Ausstellung „Voyage(s) en utopie. Jean-Luc Godard 1946–2006“ im Pariser Centre Pompidou antwortet doppelbödig
VON RUDOLF WALTHER
Der jüngste Godard-Film läuft im Museum. Das ist falsch und richtig zugleich. Falsch, weil das Centre Pompidou in Paris nie nur ein Museum war, sondern immer auch ein Kino mit zwei Vorführräumen, in denen kontinuierlich Filme laufen. Insofern ist eine bis zum August dauernde Godard-Retrospektive mit 140 Filmen, darunter sieben erstmals öffentlich gezeigten, nichts Ungewöhnliches. Beachtlich ist jedoch die Vollständigkeit der Rückblende auf das Werk des Filmemachers.
Richtig ist, dass Godard im Museum angekommen ist. Und wie? Auf dieselbe Weise, wie eine Dynamitladung ihre Existenz beweist. Sie explodiert – die museale Premiere hat also Godard-Format. Es ist eine begehbare, multimediale Installation. Der Kurator Dominique Païni plante dagegen eine Ausstellung mit Godard zusammen unter dem Titel „Collage(s) de France. Archéologie du cinéma d’après Jean-Luc Godard“. Es gibt wohl Einfacheres als die Zusammenarbeit mit dem explosiven Godard. Auf jeden Fall kam es zu erheblichen Differenzen zwischen diesem und dem Kurator, zur Verschiebung der Vernissage und schließlich zum Alleingang des Sprengmeisters.
Godard präsentiert keine Ausstellung über sich als Künstler, sondern eine von ihm selbst zusammengebastelte filmische Installation der etwas schrägeren Art unter dem Titel „Voyage(s) en utopie. Jean-Luc Godard 1946–2006“. Basteln ist wörtlich zu verstehen: Zum Teil verwendet Godard jene selbst gezimmerten Modelle, die für das ursprünglich geplante Projekt vergrößert nachgebaut werden sollten. Daraus wurde aus „technischen und finanziellen Gründen“ nichts – so die Leitung des Centre Pompidou. Godard macht „künstlerische Differenzen“ geltend.
Wie viele seiner Filmszenen ist auch die Installation vordergründig ganz einfach zusammengebaut: drei Räume, drei Zeitebenen „vorgestern“, „gestern“, „heute“. Ein Allerweltsszenario. Damit ist es aber mit der Einfachheit und Eindeutigkeit auch schon zu Ende, denn der Besucher stellt schnell fest, dass er auf dem Holzweg ist, wenn er sich die chaotische Inszenierung als chronologisch eindeutig ausgerichteten Zeitstrom denkt. Wie in Godards Filmen und im menschlichen Bewusstsein und Unterbewusstsein werden die Zeitebenen in der Ausstellung ziemlich wild durcheinander gewirbelt. Bei Godard verläuft nichts in eine Richtung – weder chronologisch noch kausal. Er illustriert das ebenso einfach wie ingeniös, indem er zwei parallel fahrende Modelleisenbahnzüge permanent von „gestern“ nach „vorgestern“ zurück- und wieder vorfahren lässt.
Auf Dutzenden von Monitoren laufen gleichzeitig Filmausschnitte – ein riesiger Haufen von Zitaten, Zeichen und Motiven, die „im Licht ihres Mangels an Sinn baden“ – so der portugiesische Cinéaste Manoel de Oliveira. Godard gefiel die Sentenz so gut, dass er sie 1996 in einen Film einbaute. Aber diesen Zusammenhang erkennt man nicht in der Ausstellung, sondern durch die Lektüre des Katalogs. Insofern demontiert Godards Installation immer auch das Konzept der Ausstellbarkeit: Was gezeigt werden kann, kann nicht gesagt werden. Und auch das Gegenteil gilt: Was gesagt werden kann, kann nicht ausgestellt werden.
Es wäre allerdings nur ein ebenso egomanisch mystifizierendes wie frivoles Spiel mit dem Besucher, wenn die Ausstellung nicht wenigstens streckenweise über diesen ausweglosen Befund hinauswiese. Das Puzzle aus Zitaten und Buchtiteln von André Malraux, Hannah Arendt, Walter Benjamin, Sigmund Freud und Georges Bataille lässt sich mit Sicherheit nicht zu einem Ganzen zusammensetzen. Die Ausstellung ist eine chaotische Dauerbaustelle, und schon die Baupläne deuten auf das Unfertige, Fragmentarische und Unvollendbare als nicht hintergehbare condition humaine. Der Film „Vrai-faux passeport“, der eigens für die Ausstellung zusammengeschnitten wurde, variiert die Themen „Die Götter“, „Folter“, „Freiheit“, „Kindheit“, „Wunder“, „Eros“ und „Terror“ und setzt gleichsam Wegmarken: Die Richtung, in die diese Zeichen weisen, bleibt offen beziehungsweise dem Betrachter überlassen.
Im Raum mit der Bezeichnung „Gestern“ erweist Godard als exzellenter Kenner der Filmgeschichte seinen Vorgängern seine Referenz. Auf kleinen Bildschirmen sind Schlüsselszenen aus Orson Welles’ „Don Quichotte“, René Clairs „Le 14 juillet“, Fritz Langs „Das Testament des Doktor Mabuse“ oder Jean Renoirs „Elena et les hommes“ zu sehen.
Die Gegenwart charakterisiert Godard mit einer irrwitzigen Collage darüber, wie das Fernsehen und die Fernseh-Ästhetik das Bild in der Bilderflut untergehen lassen. Filme und Filmcollagen haben hier keinen Platz mehr. Diesen beanspruchen Werbesendungen, Sportreportagen und Pornografisches. Fernsehbilder anerkennt Godard nicht als künstlerische Artefakte, er sieht in ihnen banale Attribute, die zu einer Wohnung gehören wie Küchenschränke, Polstergruppen oder Betten.
Bis 14. 8., Katalog 49,90 €