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Archiv-Artikel

Irakkrieg wird das US-Wahlkampfthema

Senat in Washington beginnt breite Debatte, ob die Zeit für einen Truppenrückzug aus dem Irak gekommen ist. Die US-Bürger sind mit den Entwicklungen im Irak zunehmend unzufrieden, doch über die Frage Rückzug oder Bleiben gespalten

Tonangebende Republikaner werten jede Rückzugsdebatte als Rückgratlosigkeit

AUS WASHINGTONADRIENNE WOLTERSDORF

Nach dem Fund zweier verstümmelter Leichen von im Irak entführten US-Soldaten zu Anfang der Woche hat die US-Debatte über einen Rückzug aus dem Irak wieder Nahrung erhalten. Am Mittwoch begann der Senat mit einer breit angelegten Diskussion darüber, ob die Zeit gekommen sei, den Krieg im Irak zu beenden. „Die Mehrheit der Amerikaner wünscht sich einen Termin für den Rückzug“, war sich der demokratische Senator Jack Reed sicher.

Reed unterstützt einen Vorschlag, dass erste Truppenteile noch in diesem Jahr abgezogen werden sollten: „Diese Amerikaner sind nicht unpatriotisch, sie sind nicht rückgratlos. Sie sind nur sehr besorgt und sie wünschen sich Führungskraft.“

Laut Umfragen ist eine Mehrheit der US-Bürger unzufrieden mit den Entwicklungen des Krieges im Irak. Allerdings hatte die Tötung von Abu al-Sarkawi, einem der wichtigsten Widerstandsführer, die Zustimmungsraten von Präsident George W. Bush deutlich verbessert. Zugleich ist die Öffentlichkeit tief gespalten über die richtige Strategie: Bleiben oder nach Hause gehen. Bush hat es bislang abgelehnt, ein konkretes Datum für einen Rückzug zu nennen. Vielmehr deutete er kürzlich an, dass er davon ausgehe, dass US-Truppen nach seiner Amtszeit noch lang im Irak bleiben müssen.

Die Strategen der Demokratischen und der Republikanischen Partei brüten über der Frage, wie das Thema Irak die bevorstehenden Kongresswahlen im November beeinflussen wird und was das für den Wahlkampf heißt. Sicher scheint, dass der Krieg Wahlkampfthema Nummer eins wird. Während die meisten Demokraten der Ansicht sind, dass der Krieg zu teuer geworden sei und die USA beginnen sollten, sich zurückzuziehen, deuten tonangebende Republikaner entschlossen jede Rückzugsdebatte als Rückgratlosigkeit.

Senatorin Hillary Clinton, Demokratin aus New York, nannte es eine „Schande“, dass einige Republikaner den Patriotismus derjenigen in Frage stellen, die Truppenteile abziehen wollen. „Sie verraten jene, die im Irak dienen, die unsere Armee unterstützen und die hart dafür arbeiten, dass unsere Mission ein Erfolg wird“, sagte Clinton. Dagegen wetterte der Republikaner John Cornyn: „Das Einzige, was die USA im Krieg gegen den Terror besiegen kann, ist Amerika selbst. Indem wir den Mut verlieren, für unsere Überzeugungen auch zu kämpfen.“ Die Senatsdebatte wird überschattet und angefeuert von dem Fund zweier verstümmelter Leichen. Es soll sich um zwei US-Soldaten handeln, die vergangene Woche südlich von Bagdad von ihrem Wachposten entführt worden waren. Offenbar waren die beiden allein an einer Brücke zurückgelassen worden, was nicht den Sicherheitsvorschriften entspricht. Ihre enthaupteten und verstümmelten Körper waren am Dienstag gefunden worden. „Dieser unglaubliche und abscheuliche Verlust ist ein Zeichen dafür, dass der Preis des Krieges zu hoch geworden ist“, sagte Christopher Dodd, ein Demokrat aus Connecticut. Republikaner hielten dagegen, dass der Tod von über 2.500 Amerikanern umsonst gewesen sei, wenn das Land seine zeitlich nie genau definierte Mission nun verlasse.

Dagegen erwiderte Senator Russel Feingold, Demokrat, der beste Weg, die Toten zu ehren, sei, den Kurs des Krieges zu ändern. Die Demokraten hatten zuvor eine Woche lang versucht, innerparteiliche Meinungsverschiedenheiten zu überbrücken. Da dies offensichtlich nicht gelang, präsentierten sie im Laufe der achtstündigen Debatte schließlich zwei Positionen.

Die Senatoren Reed und Carl Levin sprachen sich für eine nicht bindende Resolution aus, erste Truppenteile Ende 2006 abzurufen. Von Präsident Bush sollte der Kongress zudem einen detaillierten Rückzugsplan erwarten, der allerdings kein konkretes Datum enthalten müsse. Die Senatoren Feingold und John Kerry, gescheiterter demokratischer Kandidat der letzten Präsidentschaftswahlen, sprachen sich für einen bindenden Änderungsantrag aus mit einem festen Rückzugsdatum, nämlich Juli 2007. „Unsere Truppen und unser Land haben mehr als eine gefühlte Lage des Senats verdient. Ihnen gebührt eine Strategie“, sagte Kerry.

Immer wieder beriefen sich die Demokraten auf einen Meinungsartikel des irakischen nationalen Sicherheitsberaters. Der hatte vergangene Woche in der Washington Post geschrieben, ein Truppenrückzug würde Irak und der irakischen Regierung helfen. Denn in den Augen der Mehrheit der dortigen Bevölkerung gälten die Amerikaner längst als Besatzer.