: Blockade geht, Blockade kommt
Der Bund kauft den Ländern Vetomacht im Bundesrat ab – das ist der Grundgedanke der Föderalismusreform. Doch alte Blockademöglichkeiten könnten durch neue ersetzt werden, unken Kritiker. Die SPD will Änderungen in letzter Minute
VON GEORG LÖWISCH
Die Fans der Föderalismusreform nennen sie Mutter aller Reformen, und weil Edmund Stoiber sie maßgeblich ausgehandelt hat, ist er so was wie der Reformgroßvater. Entsprechend stolz trat der CSU-Chef gestern in Berlin vor den abschließenden Beratungen der Ministerpräsidenten auf: Die Vetogesellschaft in Deutschland werde aufgelöst, und wenn künftig 75 Prozent der Bundesgesetze vom Bundestag ohne Bundesrat verabschiedet würden, sei das eine „erhebliche Dynamik, die wir bekommen“.
Tatsächlich haben die Gegner der Verfassungsänderung wenig erreichen können. Nur bei den Hochschulen darf der Bund wohl mit den Ländern kooperieren. Er darf ihnen Geld schenken, wenn der Bundesrat großmütig zustimmt. Bei den gestrigen Beratungen durften sich die Ministerpräsidenten also freuen, und fast alle lobten die Reform. Die Bundestagsfachpolitiker für Bildung oder Justiz wiederum werden wohl schlucken müssen, dass der Bund Macht an die Länder verliert – zum Beispiel bei der Bildung oder beim Strafvollzug. Mit den Kompetenzen in diesem Bereich will der Bund den Ländern Vetorechte im Bundesrat abkaufen, damit die Bürger wissen, ob Bundes- oder Landespolitik verantwortlich ist. Allerdings ist es offen, ob es tatsächlich so kommt – oder ob nicht sogar neue Blockademöglichkeiten geschaffen werden.
Bisher kann der Bundesrat ein Gesetz blockieren, wenn es die Landesbehörden ausführen müssen. Diese Regel soll wegfallen. Dafür können die Länder die Bundesgesetze fortan verwaltungstechnisch selbstständig umsetzen. Jedoch darf der Bundesrat künftig ein Veto einlegen, wenn Gesetze „Pflichten der Länder zur Erbringung von Geldleistungen oder geldwerten Sachleistungen gegenüber Dritten begründen“. Damit, heißt es im Koalitionsvertrag von Union und SPD, reduziere sich die Vetomöglichkeit von 60 auf 35 bis 40 Prozent der Gesetze. Stoiber sprach gestern gar von 25 Prozent.
Geändert werden soll der Verfassungsartikel 104 a. Darin bleibt offen, wie hoch eine Leistung sein muss, um das Vetorecht auszulösen. Im Begründungstext haben sich die Koalitionspolitiker viel Mühe gegeben zu definieren, wann das neue Vetokriterium greift. Wenn der Staat den Anspruch auf Schuldnerberatungen schaffe, müsse der Bundesrat mitentscheiden. Wenn aber nur die Kosten für eine amtliche Genehmigung entstünden, dagegen nicht.
„An der ausführlichen Begründung kann man schon die Angst vor der eigenen Courage sehen“, spottete der Göttinger Staatsrechtsprofessor Christoph Möllers gestern. „Keiner weiß, wie hart das neue Kriterium ist“, sagte er der taz. Seiner Ansicht nach sind alle Gesetze betroffen, die eine staatliche Leistung für den Bürger bewirken – sogar dann, wenn das Geld vollständig aus dem Bundeshaushalt kommt. Möllers, der im Mai bei der Expertenanhörung des Bundestags seine Bedenken vortrug, fürchtet, dass das neue Kriterium neue Blockademöglichkeiten schafft. „Im Ergebnis konterkariert das die Reform.“
Die Grünen im Bundestag bezweifeln, dass die Reform ihr Ziel erreicht. „Der großen Koalition fehlt es offensichtlich an Kraft, um die Vetomacht der Ministerpräsidenten wirklich zu beschneiden“, sagte Fraktionschefin Renate Künast der taz: „In der jetzigen Form wird das nicht gelingen, womit ein Stiefmütterchen droht statt der notwendigen Mutter aller Reformen.“
Inzwischen setzen sich auch in der SPD Bedenken durch. Gestern stellte ihr parlamentarischer Geschäftsführer Olaf Scholz in Aussicht, den Artikel 104 a noch mal zu verändern. Das endgültige Konzept werde aber erst der Koalitionsausschuss am Sonntag festlegen. Die Zeit ist knapp – am 30. Juni soll der Bundestag die Verfassungsänderung beschließen. Scholz sagte, es müsse Klarheit her, um „Missverständnisse“ zu vermeiden.
Wenn der Bund den Ländern Kompetenzen gibt und nichts bekommt – das wäre allerdings ein Missverständnis. Mit AFP