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Archiv-Artikel

Tolles Klima

Der niedersächsische Büromöbel-Hersteller Wilkhahn ist vorbildlich in Sachen ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit

Burkhard Remmers zeigt vollen Einsatz. Der Mann mit dem Profil eines Klaus Maria Brandauer schmeißt sich auf den lindgrün bezogenen Schreibtischstuhl, geht ins Hohlkreuz und biegt die Lehne weit nach hinten. Dann springt er auf, kniet sich auf die Seite der Sitzschale, die sich dem Druck anpasst und verformt. Erst als seine Beine schließlich lässig über der Lehne baumeln, kommt er zur Ruhe. „Unsere Produkte sind langlebig, gebrauchswertorientiert, umwelt- und reparaturfreundlich“, sagt der Mann, der beim Möbelhersteller Wilkhahn für Marketing zuständig ist. Angeblich hält ein Schreibtischstuhl von Wilkhahn solche Prozeduren viele Jahre durch – und wenn doch mal was kaputt geht oder der Bezug einen Fleck hat, kann der Kunde den Stuhl zur Aufarbeitung an die Fabrik zurückschicken.

Dort landet er dann bei Helmut Fröhlich und seinen Kollegen vom Kundendienst. Gerade nimmt sich der 53-Jährige einen Stuhl aus den 80er-Jahren vor, bei dem der Stoff an einer Stelle verschlissen ist; auch das Schaumgummi darunter müsste mal erneuert werden. Zum Glück gibt es das Modell noch immer – und so wird Fröhlich gleich einen Auftrag an die Kolleginnen in den entsprechenden Abteilungen losschicken.

Ein paar Türen weiter sitzt Tanja Wiedecke – selbstverständlich auf einem ergonomischen Wilkhahn-Stuhl – und schiebt zwei schwarze Webestoffteile unter ihre Nähmaschine. Etwa zwanzig Frauen produzieren hier Bezüge für Rückenlehnen und Sofas. Von oben und der Seite fällt Tageslicht in den Pavillon, der von einer geschwungenen Holzdecke überspannt wird. Der Stararchitekt Frei Otto hat die Werkshalle entworfen, nebenan steht eine lichtdurchflutete Fabrikhalle von Thomas Herzog mit Photovoltaikanlage auf dem Dach.

Tanja Wiedecke will niemals irgendwo anders arbeiten

Vor fünfzehn Jahren hat Tanja Wiedecke bei Wilkhahn eine Ausbildung als Polstererin angefangen – und wie die meisten ihrer Kollegen will sie niemals irgendwo anders arbeiten. „Wir haben sehr viele Freiheiten“, begründet sie ihre Haltung. In der Regel fängt die 34-Jährige morgens um sechs Uhr an. Doch wenn sie abends lange gefeiert hat, kommt sie auch mal später. Eine Viertagewoche könnte sie sich ebenfalls einrichten: Ganz nach Gusto sind die Arbeitsplätze in der Produktion zwischen 6 Uhr morgens und 22 Uhr abends zugänglich. Die sechswöchigen Winterferien kann Wiedecke ebenfalls sicher einplanen. Und braucht sie mal unbezahlten Urlaub, versucht ihre Gruppenleiterin auch das einzurichten. Natürlich müssen die Aufträge rechtzeitig fertig werden: Dafür gibt es Gleitzeitkonten, auf denen sich bis zu 150 Plus- und bis zu 50 Minusstunden ansammeln dürfen.

Rückenschule für die MitarbeiterInnen

Das Familienunternehmen aus dem niedersächsischen Bad Münder hat schon mehrere Auszeichnungen gewonnen, weil es als ökologisch und sozial vorbildlich gilt. Der Einsatz wasserlöslicher Lacke ist hier ebenso selbstverständlich wie die Kennzeichnung aller eingesetzten Werkstoffe oder die Rückenschule für die Mitarbeiter. „Doch theoretisch könnte ja ein unter diesen Aspekten vorbildlicher Betrieb auch Tretminen produzieren“, sagt Remmers. Wirklich nachhaltig sei ein Unternehmen doch nur dann, wenn es nichts Überflüssiges herstelle und die Produkte der Gesundheit und dem Wohlbefinden der Nutzer dienen. Deshalb fehlt an den Wilkhahn-Möbeln aller modische Schnickschnack und fast jeder Einstellknopf. „Niemand will sich dauernd mit seinem Stuhl beschäftigen und daran rumschrauben müssen“, so Remmers’ Credo. Auch die Vorstellung, dass die Leute regelmäßig am Schreibtisch Gymnastik machten, sei doch eine Illusion. „Viel besser ist es, wenn der Stuhl selbst zur Bewegung anregt und so gesundheitsfördernd wirkt.“

Offenbar geht das Konzept auf. Einst gab es in der Deister-Gegend südwestlich von Hannover an die 100 Möbelfirmen. Doch die Massenhersteller mussten nach und nach alle dichtmachen – die Konkurrenz in Osteuropa und anderen Billiglohnländern war einfach zu stark. Allein Wilkhahn und ein anderer Betrieb, der inzwischen zu einem US-Konzern gehört, haben überlebt. „Wir verbinden industrielle Fertigung und Handwerk. In dieser Kombination können wir am Standort Deutschland bestehen“, beschreibt Remmers das Erfolgsrezept. Die Kundschaft erwartet hohe Qualität – und ist bereit, entsprechende Preise zu bezahlen. 60 Prozent der Tische sind Spezialanfertigungen.

Tischplatte für Angela Merkel

„Ab und zu sehe ich unsere Möbel in der ,Tagesschau‘. Das finde ich natürlich gut“, sagt der Schreiner Andreas Koch und grinst. Die Tischplatte, an der Kanzlerin Angela Merkel täglich Gesetzesvorlagen und andere wichtige Dokumente studiert, haben er und seine Kollegen vor ein paar Jahren glatt geschliffen und später zusammen mit zahlreichen anderen Konferenztischen im Kanzleramt aufgebaut.

Das Überleben des Betriebes war nur über Entlassungen möglich

„Hier wird laufend investiert und die Qualität steht im Zentrum. Genau das hat die Firma über die schwierigen Zeiten gebracht“, ist Koch überzeugt. Die schwierigen Zeiten – das war vor allem vor vier Jahren, als der Büromöbelmarkt in Deutschland um fast 50 Prozent einbrach. Bei Wilkhahn mussten ebenfalls mehrere Dutzend Leute gehen. „Zum ersten Mal seit hundert Jahren gab es Entlassungen“, berichtet Firmenchef Jochen Hahne. Sogar einem alten Klassenkameraden habe er kündigen müssen. „Das war ziemlich Scheiße“, sagt der 47-Jährige, der nicht gerne drumherum redet. Damals hat er seine Rolle als Chef lernen müssen – und auch, dass manche Mitarbeiter sich beim Betriebsfest erst nach ein paar Bieren trauen, ihn direkt anzusprechen. Hahne, der sein Jackett irgendwo im Haus verlegt hat und seinen Betriebsrat fragt, ob er ihm einen Kaffee mitkochen soll, hätte das gerne anders. Doch zugleich versteht er inzwischen, dass mit der Verantwortung auch eine gewisse Distanz verbunden ist. Hätte er die Massenentlassung damals nicht durchgezogen, würde es Wilkhahn heute wohl nicht mehr geben.

Um einen weiteren Aderlass zu vermeiden, machten die Mitarbeitervertreter von sich aus einen Vorschlag: 30 Stunden ohne Lohnausgleich. „Jeder kann bei uns im Computer nachgucken, wie unsere Auftragslage gerade ist“, sagt Betriebsratschef Rolf-Olaf Stender, der von seinem Schreibtisch durch eine Glaswand in die sattgrüne Landschaft schauen kann. Die Führungskräfte waren ebenfalls bereit, auf 15 Prozent ihres Einkommens zu verzichten – und so sind die Wilkhahner schließlich wieder aus dem Tal herausgekommen. 367 Menschen arbeiten derzeit in der Zentrale, 132 in spanischen und australischen Zweigwerken oder einer der 13 Vertriebsstellen, die auf den gesamten Globus verteilt sind.

Inzwischen gilt in Bad Münder immerhin schon wieder die 33-Stunden-Woche. „Damit komme ich ungefähr auf 1.350 Euro netto“, erzählt Tanja Wiedecke. Neben dem Tariflohn erhält sie auch eine Gruppenprämie sowie einen Lohnzuschlag – der sich bei jedem nach der individuellen Leistung bemisst. Außerdem sind sowohl die gegenwärtigen und als auch die früheren Beschäftigten zu 25 Prozent an dem Familienbetrieb beteiligt und es gibt eine gute betriebliche Altersabsicherung.

Ideen belohnt das Unternehmen mit einem Umweltpreis

Doch nicht nur aus finanziellen Gründen identifizieren sich die Wilkhahn-Mitarbeiter in außergewöhnlichem Maß mit dem Unternehmen. Auch ihre Ideen und Verbesserungsvorschläge sind erwünscht. Ein dafür abgestellter Kollege fragt regelmaßig nach, wo man etwas ändern könnte. Und schlaue Ideen belohnt das Unternehmen mit einem internen Umweltpreis.

Einen davon bekam Andreas Koch. Ihn ärgerte, dass die Abfallcontainer mit den sperrigen Holzresten immer sehr schnell voll waren. Und dass die Laster beim Abtransport viel Luft durch die Gegend transportierten, fand er sinnlos. Inzwischen schreddern er und seine Kollegen die Bretterreste, bevor sie sie zum Verwertungsbetrieb schicken. Das spart viele Lkw-Ladungen – und damit Kosten für den Betrieb und Abgase für die Umwelt.

Annette Jensen