: Unermüdlich gegen die Hilflosigkeit
Panter-Kandidat (3): Der 54-jährige Frieder Alberth bemüht sich um Aids-Hilfe und Aufklärung in Osteuropa
An dieser Stelle porträtieren wir jeden Samstag eineN von neun KandidatInnen für den taz-Panter-Preis.
Großartig befragen muss man ihn nicht. Frieder Alberth sprudelt los. Lebhaft und energisch, zugleich sachlich und ohne zu dramatisieren. Dabei ist sein Thema ein ernstes: Der 54-Jährige kümmert sich um HIV-Positive und Aids-Kranke in Osteuropa. Nicht unmittelbar, als Arzt oder Psychologe, sondern indem er mit seinem Verein Connect Plus Hilfe zur Selbsthilfe leistet.
Bevor Frieder Alberth in einem Berliner Café berichtet, wie es zur Gründung des gemeinnützigen Vereins im Jahr 2001 gekommen ist, zählt er Stationen seines Lebens auf. Der gelernte Finanzwirt und Pädagoge hat vier Jahre beim Finanzamt gearbeitet. „Das hat mir gereicht“, sagt er – und man glaubt es ihm sofort. Statt weiter Zahlen zu addieren, hat er 1983 in seiner Heimatstadt Nürtingen einen Verein für Suizidgefährdete gegründet, drei Jahre später entschied er sich, die gerade ins Leben gerufene Aids-Hilfe in Augsburg zu leiten. 14 Jahre machte er diesen Job, sammelte Erfahrungen in Sachen Behandlung, Prävention und dem Umgang mit Betroffenen. „Aber eines Tages hatte ich wieder das Gefühl, etwas ändern zu müssen“, erklärt er. Nur was? Frieder Alberth und seine Frau haben vier Kinder, davon sind drei aus Brasilien adoptiert. „Dadurch hatte ich weltweite Kontakte und stellte fest, dass die Erkenntnisse und Erfahrungen der Aids-Arbeit in Deutschland in internationalen Organisationen überhaupt nicht vorkommen.“ Daran wollte er etwas ändern. Frieder Alberth nippt zum ersten Mal an seinem Milchkaffee. Nach einer kurzen Pause fährt er fort. „Ich habe mir eine Lebensversicherung auszahlen lassen, in der Gewissheit, dass dieses Geld für ein einjähriges Engagement ausreicht.“
Kurz darauf war die Vereinsgründung perfekt. Gemeinsam mit drei Kollegen, die ihn ehrenamtlich unterstützen, machte er sich an die Arbeit. Sein Ziel ist, das Wissen der deutschen Aids-Hilfen und Kliniken dem Ausland zur Verfügung zu stellen. Schnell wurde klar, dass sich Connect Plus nach Osteuropa orientieren würde. Genauer gesagt: nach Russland und in die Ukraine. Frieder Alberth trägt Zahlen vor, allesamt aus dem Kopf, wobei vielleicht wieder der einstige Finanzbeamte durchkommt: In Russland sind 330.000 HIV-positive Menschen registriert, das nationale Aids-Zentrum geht allerdings von 1,1 Millionen Infizierten aus; das sind fünf Prozent der 16 bis 30 Jährigen in den Großstädten. In der Ukraine ist der Unterschied zwischen den offiziellen Daten und der Realität ähnlich krass: 110.000 registrierten Infizierten steht die von der Weltgesundheitsorganisation geschätzte Zahl von 500.000 bis 700.000 HIV-Positiven gegenüber. „Allein in Odessa gibt es 70.000 Menschen, die sich mit dem HI-Virus angesteckt haben“, sagt Alberth. Und ergänzt: „So viele, wie es in Deutschland in den letzten 20 Jahren überhaupt gab.“ Aber nicht nur die Zahlen machen deutlich, wie katastrophal die Lage in Osteuropa ist. Auch die Versorgung der Infizierten und Kranken ist miserabel. Frieder Alberth erzählt von einem ehemaligen Lepra-Krankenhaus in Odessa, in das Aids-Patienten verlegt wurden. „Vor fünf Jahren gab es nichts, noch nicht einmal Aspirin, die Menschen wurden nur zum Sterben dorthin gebracht.“ Mittlerweile konnte die Klinik dank der Unterstützung von Connect Plus renoviert und besser ausgestattet werden, sogar eine psychosoziale Beratungsstelle wurde eingerichtet. „Viele Leute verorten Aids als ganz große Bedrohung nur in Afrika“, sagt Alberth. „Dabei ist das Elend gar nicht so weit entfernt.“ Doch da die osteuropäischen Länder nicht als Entwicklungsländer gelten, gebe es bisher kaum zusätzliche Unterstützungen aus den deutschen Ministerien.
Frieder Alberths Kaffee ist inzwischen kalt geworden. Er ist so richtig in Fahrt gekommen und macht deutlich, wie seine Arbeit genau aussieht. „Mein Hauptfokus liegt auf Qualifizierung.“ Das bedeutet, dass Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter, die Alberth vermittelt, nicht behandeln und therapieren, sondern vor Ort ihre Kollegen in Behandlungsmethoden und Therapieformen schulen. Alberth selbst ist der Motor dieser Fortbildungskampagne. Bereits 22-mal ist er in die Ukraine gereist und hat auch seine eigenen Erfahrungen aus der Aids-Hilfe-Arbeit weitergegeben. Kurz vor dem Treffen in Berlin hat er dafür gesorgt, dass 1.000 ukrainische Lehrer geschult wurden – damit sie junge Menschen bei Fragen zu Aids informieren und beraten können. „Aufklärung und Prävention findet in Osteuropa zu wenig statt“, schildert er. „Vor zehn Jahren haben viele Drogenabhängige infiziert, das Thema Homosexualität an sich wird ebenso tabuisiert wie die Ansteckungsgefahr für Heterosexuelle.“ Und zu allem Überfluss gebe es wenig Hilfsstrukturen. Deshalb wurde Frieder Alberth sofort ins Gesundheitsministerium in Kiew eingeladen, wo er sein Projekt vorstellen durfte.
Unterstützung gibt es von ukrainischer oder russischer Seite aber keine. Überhaupt kann Alberth mit seinem Verein nur von einem Projekt zum anderen planen. Er arbeitet freiberuflich auf Vollzeit-Niveau für Connect Plus, wird ab und an von Caritas oder Aktion Mensch, den Kirchen oder privaten Stiftungen gefördert. Aber sonst gibt es keine Einnahmen – außer Spenden.
Trotz der finanziellen Schwierigkeiten will Frieder Alberth weitermachen, es gebe einfach zu viel Bedarf an Unterstützung. Ganz unbemerkt ist sein unermüdliches Rackern auch hierzulande nicht geblieben: Vor zwei Jahren wurde ihm für seinen Einsatz ein „Bambi“ verliehen. „Doch nachhaltig müsste es viel mehr bringen“, meint er nüchtern. Mehr Bekanntheit würde ihm sicher ein Auftritt bei Harald Schmidt einbringen, der ja gerne Menschen aus seiner Heimatstadt Nürtingen einlädt. „Ich würde natürlich hingehen“, sagt Alberth. „Das ist schließlich eine meiner Lieblingssendungen.“ JUTTA HEESS