: Erden und Abheben
Ironisch antifaschistisch, mit dem Schwung eines Krimis: Der in Leipzig lebende Friese Olaf Schmidt hat mit „Friesenblut“ einen Roman über die Inselfriesen geschrieben
von HELMUT HÖGE
„Friesenblut“ ist ein Buch über Friesen –von einem Friesen. Der Germanist Olaf Schmidt lebte die ersten zwanzig Jahre seines Lebens auf Föhr, und dort spielt auch sein Roman. Man sagt, die Friesen sind den Künsten eher abgeneigt, der Mathematik aber nicht, was von ihrer händlerischen Lebensweise seit dem Megalithikum komme, die zudem immer wieder ins Piratische lappte. Man könnte sie aber auch als seefahrende Viehhirten bezeichnen, die übrigens keinen Volksstamm, sondern wie die Schweizer eine Art Eidgenossenschaft bilden. Aber anders als diese waren sie immer frei (jedenfalls bis die verdammten Preußen kamen).
Zu Zeiten Karls des Großen erledigten sie den Handel für das Reich – bis nach Bagdad hin. Um 1230 wird ihnen quasioffiziell bescheinigt: „omni jugo servitutis exuti“ – sie haben das Joch der Knechtschaft verlassen. „Seltsam nahm sich Friesland unter den deutschen Territorien aus“, schreibt der westfriesische Historiker I. H. Gosses: „Kein Graf, keine Lehnsleute, fast keine Ritter, keine Unfreien, keine ummauerten Städte; ein Land freier Bauern.“
Auch in dem in der Gegenwart spielenden Roman von Olaf Schmidt, der heute als Redakteur beim Leipziger Stadtmagazin Kreuzer arbeitet, spielt die friesische Geschichte eine große Rolle. Nicht nur in Nebenbemerkungen wie etwa der über das Tourismusgeschäft der Föhrer: „Das kleine Volk der Inselfriesen hatte weiß Gott seinen Beitrag zur Ausplünderung der Welt geleistet. Jetzt fuhr man eben nicht mehr auf Beute hinaus, der Reichtum kam von selbst. Was hatte sich schon wirklich geändert?“
Die Hauptfigur des Buchs ist ein auf die Insel Föhr zurückkehrender junger Kunsthistoriker namens Anselm, der dort Material für seine Doktorarbeit über den 1839 gestorbenen und von der Kunstwelt eher gering geschätzten Föhrer Maler Oluf Braren sammeln will. Er knüpft dabei an den Forschungen eines jüdischen Kunsthistorikers an, der 1936 auf die Insel gekommen war und dann von den Nazis umgebracht wurde.
Anselm verbindet eine alte Freundschaft mit dem Inselpfarrer, der einmal Anti-AKW-Aktivist war. Er hat von einem bisher unbekannten Bild des Malers erfahren, das sich im Besitz einer Föhrerin befindet, die es erst jüngst von ihrer in den Dreißigerjahren nach Amerika ausgewanderten älteren Schwester erbte. Auch der Föhringer Verein ist an dem Bild interessiert, denn Oluf Braren wird vom Vereinsvorsitzenden „für den einzigen Künstler von Rang“ gehalten, „den unsere Heimatinsel je hervorgebracht hat“. Aber noch bevor er oder Anselm sich über das Bild hermachen können, ist es verschwunden. Gestohlen. Das verleiht dem Roman den Schwung eines Krimis. Dieser wird jedoch immer wieder ausgebremst dadurch, dass parallel zur Aufklärung des Gemäldediebstahls die Lebensgeschichte des Malers ausführlichst erzählt wird.
An der Bildspurensuche beteiligt sich bald auch noch der Inselreporter, der gewissermaßen auf die Nazizeit in der Föhrer Geschichte spezialisiert ist. Genauso wie der Pfarrer hält er den Heimatverein für eine „reaktionäre Bagage“. Ein Buch – vom Vater des Vereinsvorsitzenden verfasst – hieß bereits „Friesenblut“. Olaf Schmidts Roman ist eine ironische Antifa-Antwort darauf und gleichzeitig eine Erinnerung an die Juden einst auf der Insel, die zumeist Touristen waren: „Wyk [auf Föhr] war kein antisemitisches Seebad. Aber als die Nazis dann hier das Sagen hatten, war man sofort tausendprozentig.“
Eine Ausnahme bildete jene Inselminderheit, die 1920 beim Volksentscheid für den Anschluss Föhrs an Dänemark stimmte. Einer von ihnen lebt noch heute. Er ist immer noch davon überzeugt, „dass damals nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sei“ und dass „die Friesen weder deutsch noch dänisch sind, sie sind etwas Eigenes für sich. Doch von alters her haben sie zu Dänemark gehört und sind damit immer zufrieden gewesen“. Selbst der Festlandfriese Theodor Storm konnte sich 1864 nicht recht über die „Befreiung“ seiner „Husumerei“ durch die Preußen freuen – obwohl ihn die Dänen zuvor ins (preußische) Exil getrieben hatten. Der erste „Friesenblut“-Roman – „Ein Nordseebuch von Schutz und Trutz“ – war unter anderem dem neuerlichen Kampf gegen die „frechen Dänen“ nach 1918 gewidmet.
Diese ganzen Geschichten wirken bis heute nach unter der neobanalen Ferienoberfläche der Insel, wobei die vor 15.000 Jahren existierende Hochkultur noch ganz frisch in Erinnerung ist, während die Nazizeit schon „sehr lange her“ ist. All diese Widersprüche zerren nun die drei nach dem verschwundenen Bild fahndenden Protagonisten in Schmidts Roman nach und nach ans Licht. Olaf Schmidt hat einem Kapitel das Motto eines Heimatforschers vom Festland aus dem Jahre 1865 vorangestellt: „Wollte und dürfte ich die Geheimnisse der Föhrer und namentlich der Föhrer Nachtschwärmer und Finsterlinge aufdecken, so müßte ich lange Kapitel schreiben.“
Olaf Schmidt hat das getan. In einer Rezension seines Inselkrimiromans verbietet es sich jedoch aufzudecken, wie er ausgeht. Ein Kritiker nannte sein Werk „ein sprachmächtiges Epos über ein Provinzgenie“. Dem möchte ich zuletzt aber widersprechen, denn ein Schriftsteller ist im Gegenteil jemand, der Probleme mit dem Schreiben hat – und Olaf Schmidt hat sich mit „Friesenblut“ jede Menge Schreibprobleme gemacht. Als küstennaher Heimatforscher hat er dabei zugleich gekonnt die Dialektik von Erden (bzw. In-See-Stechen) und Abheben berücksichtigt.
Olaf Schmidt: „Friesenblut“. Eichborn Berlin, Berlin 2006, 271 Seiten, 19,90 Euro