: Unterwegs in die Roboterdisko
Am Samstagabend schließen die beiden außergewöhnlichen Hamburger Bands „Amtrak“ und „ENIAC“ ihre musikalischen Schaltkreise kurz, um Nervenkostüme Langeweile-gefährdeter Menschen zu überladen
Der Electronic Numerical Integrator and Computer – kurz ENIAC – ist der erste elektronische Universalrechner, als er 1946 das Licht der Welt erblickt – und einer der ersten Computer überhaupt. 17.468 Elektronenröhren auf 170 Quadratmetern Pennsylvania verbrauchen für die Repräsentation von ballistischen Tabellen 174 Kilowattstunden Strom – was den ENIAC extrem fehleranfällig macht. Fällt nämlich auch nur eine der Röhren aus, führen die Rechnungen des Kolosses zum falschen Ergebnis.
Unklar ist, warum sich 1999 vier junge Männer entschieden haben, ihren gemeinsamen musikalischen Ausbruchsversuch aus Tristesse und Langeweile nach dem legendären Rechner zu benennen. Es mag zum einen der enorme Energieverbrauch gewesen sein. Denn es ist unbestritten das Wort Energie, das sich ENIAC-beschreibenden KonzertbesucherInnen und RezensentInnen angesichts leidenschaftlich dargebotenen, vertrackten und schwer rockenden Art-Punks irgendwo zwischen „Kurt“, „Les Savy Fav“ und „Popular Shape“ mit schöner Regelmäßigkeit als Erstes ins textende Hirn schleicht. Auf der anderen Seite mag es ein nicht zu übersehendes und -hörendes Interesse am Scheitern von visuellen wie akustischen Erwartungen und an unorthodoxen Ergebnissen gewesen sein, das Manuel Popo, Flo Le Dnarb, Stefan Day und Herrn Rudolph im Hamburg der Jahrtausendwende unter dem Namen des fehleranfälligen Nordamerikaners zusammenbrachte.
Wie auch immer. Belegt ist, dass „ENIAC“ im Mai 1999 zum ersten Mal die Bühne erklimmen, zwei Jahre später erscheint das erste Album „Au Revoir, Tristesse“, gefolgt von der 7-Inch „Ken & Barbie / Superfriends Are Made Of Gold“, dem zweiten Album „Oh?“ und einer Split-CD mit der „Experimental Dental School“ aus Oakland.
Spätestens bei deren Psycho-Orgel-Core treffen sich „ENIAC“ mit ihren eigenwilligen FreundInnen von „Amtrak“. Die haben im Winter ihren etwas schwer zugänglichen Erstling „Bleipony“ veröffentlicht, den das OX-Fanzine als verschrobene „Tour de Farce“ beschrieben hat, die schließlich in „Avant-Indiepop mit Hang zum hochenergetischen Elektro-Punk-Kunstlied mit mitunter verpuptem Aroma von Jazz-Frühschoppen in futuristisch“ ende. Man zelebriere eine „Melange aus Destrukto-Disco und Diskurs-Chanson“, was sich durchaus mit der Eigendarstellung auf der bemerkenswerten Homepage verträgt. Dort spricht man davon, dass die Kantigkeit der sehr frühen 80er schrille Melodien heirate und zerklüftete Popsongs für die Stopptanzdisco gründe. Der gebrochene Fuß treffe die Tanzfläche, der No-Wave die Überschwemmung und die NDW die Posthistoire, heißt es. Oder kurz und bündig: „krank aber gesund“. Etwas eingängiger formuliert: „elektro-sciFi-punk mit sängerin, aber ohne gitarre“ in der Leerstelle zwischen „Wirtschaftswunder“, „Malaria“ und „Sick Lipstick“.Robert Matthies