„Ein Recht aufs eigene Problem“

PRIVATE VIEWING Der deutsch-irakische Schriftssteller Abbas Khider freut sich mit Ghana und erzählt, warum er es vorzieht, auf Deutsch, nicht auf Arabisch zu schreiben

■  wurde 1973 in Bagdad geboren. Im Alter von 19 Jahren kam er wegen seiner politischen Aktivitäten zum ersten Mal ins Gefängnis. Im Jahr 1996 floh er aus dem Irak und verbrachte vier Jahre als Illegaler auf der Flucht durch verschiedene arabische und europäische Länder, ehe er im Jahr 2000 in München strandete. Später studierte er Literatur und Philosophie. In arabischer Sprache veröffentlichte er verschiedene Gedichtbände, 2008 erschien sein erster Roman auf Deutsch: „Der falsche Inder“ (Edition Nautilus). Zurzeit lebt Abbas Khider in Berlin.

VON INES KAPPERT

„Ich hasse Sport“, sagt Abbas Khider. Mehr als ein paar Liegestützen nach dem Aufstehen seien nicht drin. „Als Kind war ich dick, richtig dick, also stand ich im Tor, erzählt er lachend. Aber auch als Torwart war ich nicht gut. Ich hab mich dann aufs Taubenzüchten verlegt, mitten im Irak-Iran-Krieg. Ab dann hatte auch ich eine Bezugsgruppe.“

Wir laufen auf das Gelände des unlängst für Spaziergänger geöffneten Berliner Flughafens Tempelhof. Khider ist von der riesigen, durch keine Wurstbude und keine Skulptur definierten Feldfläche so begeistert wie ich. Ich hole Bier, er sichert uns Plätze in dem einzigen Biergarten, natürlich kann man auch hier Fußball gucken.

Der Schriftsteller ist bester Laune, die Lesereise vergangene Woche lief gut, außerdem ist sein nächster Roman „Weg!“ abgegeben. „Wenn ich das Gefühl habe, ich kann nichts mehr für mein Buch tun, dann ist es fertig“, sagt er. „Und ich konnte nichts mehr dafür tun.“ Wovon es handelt, wird nicht verraten.

Khider schreibt auf Deutsch, dabei hat er die Sprache erst mit 27 Jahren gelernt. Vier Jahre dauerte seine Odyssee als Flüchtling durch Jordanien, Libyen, Tunesien, wieder Libyen, die Türkei, Griechenland, Italien, ehe er nach nach unzähligen Gefängnisaufenthalten im Jahr 2000 schließlich in München landete. Weitere sechs Jahre später erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft.

In einem Interview hat er einmal gesagt, über die erlebten Schrecken könne er nur auf Deutsch schreiben, denn die Fremdsprache halte ihn auf Distanz. Ist das inzwischen anders?

„Nein“, Khider zündet sich eine nächste Zigarette an. „Ich wurde ja nicht nur von arabischen Händen gefoltert, sondern auch mit arabischen Worten.“ Das sagt er völlig unsentimental. Die Amerikaner haben eine erste Torchance, er amüsiert sich: „Jetzt haben aber einige Araber einen Herzinfarkt gekriegt.“ Er ist für Ghana, wie fast alle hier im Biergarten, eine afrikanische Mannschaft muss weiter kommen. Khider tippt 2:1 für Ghana.

Oktoberfest in Bagdad

Identitätspolitik ist seine Sache nicht. Religion geht auch gar nicht, Familie, na ja. Selbst Vater zu werden komme bislang nicht infrage. Er habe zu viele tote Kinder gesehen, und wenn er mit seinen Nichten und Neffen unterwegs sei, habe er einfach nur Angst um sie. Überhaupt fallen ihm Bindungen nicht allzu leicht, er schüttelt den Kopf und ist sichtlich unzufrieden mit sich. Und seine Familie im Irak? Die sei froh, dass er in Sicherheit sei und nicht immer für Ärger sorge, vor allem seine Mutter. Dabei profitierten sie heute von seiner Renitenz. Ein Bruder kam mit ihm nach München, seine sieben anderen Geschwister sind im Irak geblieben, „noch leben sie“, fügt er knapp hinzu. Und sie haben einen Job. Wer eine Bescheinigung vorzeigen kann, dass der Bruder gefoltert wurde, hat bessere Chancen, Arbeit zu finden.

Die Ghanaer schießen das erste Tor, wir sind zufrieden.

Das erste Mal sei er 2003 in den Irak zurückgekehrt. Und das müsse er mir erzählen, das sei unglaublich gewesen: Er war gerade ein paar Stunden da und traf seine Familie zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder. Ich könne mir ja vorstellen, wie es da zugegangen sei, alle am Weinen und so weiter, und dann kamen amerikanische Soldaten, um das Haus nach Waffen zu durchsuchen. Wo er herkomme?, fragten sie. Aus München, antwortete er. Daraufhin die Soldaten: „Ah, München, Oktoberfest, toll. Hast du uns nicht ein paar Bier mitgebracht?“ Die wollten wahrscheinlich nett sein, aber das war zu viel, Oktoberfest, so ein Scheiß, selbst ihm habe es die Sprache verschlagen. Die Militärs fanden keine Waffen und sprühten zufrieden einen Haken auf die Außenseite der Haustür: „Gute Familie“, heißt das.

Wie fühlt sich das an, wenn man nach Jahren als Illegaler beginnt, in München Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaften zu studieren, zusammen mit all den deutschen Kommilitonen aus Mittelschichtsfamilien? Zu Anfang, überlegt Khider, habe er die Probleme der anderen nicht so verstanden. Jemand wird in der Kindheit von seinem Vater geschlagen, und deswegen ist er bis heute depressiv. „Das leuchtete mir nicht ein“, sagt er lächelnd. „Aber dann wurde mir klar, jede Gesellschaft hat ihre eigenen Verwerfungen und jeder ein Recht auf sein Problem.“ „Bewunderswerte Toleranz“, sage ich. „Sicher“, sagt er, „was spricht gegen Toleranz?“

Wir konzentrieren uns aufs Spiel, das wird jetzt doch noch spannend. Khider lag richtig, am Ende steht es 2:1. Alles klatscht, wir verlassen den Park, es ist kurz vor Mitternacht und noch immer nicht dunkel.