Ballern fürs Ticket

BIATHLON Für die leidgeplagte Miriam Gössner wird es langsam Zeit, sich für die Spiele in Sotschi zu qualifizieren

VON ANDREAS MORBACH

Der Vorschlag war gut gemeint, doch Miriam Gössner schlug den Rat von Magdalena Neuner entschlossen in den Wind. Die ins Private zurückgetretene Doppelolympiasiegerin von Vancouver hatte ihrer Freundin nach deren Tortur bei den Weltcups im Monat Dezember empfohlen, das neue Jahr auf der kleineren Bühne des IBU-Cups zu beginnen. Dort seien mediale Aufmerksamkeit und Druck nicht so groß, argumentierte Neuner. Doch deren Argumente zogen bei Miriam Gössner nicht.

„Nach meiner Verletzung hätte ich im IBU-Cup sicher genauso im Fokus der Öffentlichkeit gestanden. Ich denke nach wie vor, dass es die richtige Entscheidung war“, verteidigte die 23-Jährige den mit Trainern und Ärzten abgestimmten Entschluss, trotz ihres schweren Radunfalls im Mai die Saison gleich auf der großen Biathlonbühne zu beginnen und zum Start ins olympische Jahr auch jetzt beim Skijäger-Spektakel in Oberhof anzutreten.

Im Thüringer Wald und bei den nachfolgenden Weltcups in Ruhpolding und Antholz will Miriam Gössner nachholen, was ihr im Dezember in Östersund und Hochfilzen nicht gelungen ist und worauf sie in Annency aufgrund der enormen Schmerzen im Rücken ganz verzichten musste: die vom Sportbund (DOSB) geforderte olympische Norm zu erfüllen. Die erste Gelegenheit bietet am frühen Freitagabend der Sprint über 7,5 Kilometer auf einer Strecke, die die leidgeprüften Oberhofer Organisatoren wegen des nassen und warmen Wetters einmal mehr unter größten Anstrengungen präpariert haben.

Im Vorjahr triumphierte Gössner beim Sprint am Grenzadler noch vor der Norwegerin Tora Berger und Lokalmatadorin Andrea Henkel. Letztere gibt eine Abschiedsvorstellung vor der eigenen Haustür: „Klar, das wird hochgradig emotional.“ Und: „Ein, zwei Tränen der Rührung sind nicht ausgeschlossen.“ Feuchte Augen drohen auch bei Miriam Gössner. Bei der blonden Frau aus Oberbayern liegt das dann aber vor allem an den Schmerzen im Rücken.

Seitdem sie im Mai in Norwegen vom Fahrrad stürzte, sind sie zu ständigen, unerwünschten Begleitern geworden. Vier Lendenwirbel brach sie sich bei dem Unfall mit ihrem Mountainbike, eine Bandscheibe war lädiert, drei Stunden lang spürte sie ihre Beine nicht mehr. Gedanken an ein Leben im Rollstuhl tobten durch ihren Kopf, über dem deutschen Biathlon waren mit einem Schlag dunkle Wolken aufgezogen: „Ich konnte nicht aufstehen, konnte meine Beine nicht bewegen und hab in dem Moment nur gesagt: Bitte lass mich wieder laufen können.“

Das Stoßgebet der Verzweifelten wurde erhört, und für Gössner begann die Zeit der endlosen Arzttermine, Reha-Maßnahmen und des schwankenden Gemütszustands. Dass sie Ende November beim Weltcupstart in Östersund schon dabei war, bezeichnete Bundestrainer Uwe Müssiggang als „ein kleines Wunder“. Die Wunder auf der Strecke blieben allerdings aus: Gössners bislang bestes Resultat in diesem Winter war Platz 47 im Sprint von Hochfilzen. Dabei ist die gebürtige Garmischerin mit ihrer Laufform durchaus zufrieden.

Beim Schießen jedoch sorgt die permanente Pein im Rücken, über die sich Gössner inzwischen wirklich den Kopf zerbricht, dafür, dass sie sich falsch hinlegt und die Fehlerquote bei der ohnehin unsicheren Schützin dadurch zusätzlich steigt.

Die DOSB geforderte Norm für Sotschi erfüllt Gössner nur, wenn sie einmal unter die besten acht oder zweimal unter die Top 15 kommt. „Ich sehe das alles entspannt, wir verspüren keinen Druck“, sagt Bundestrainer Müssiggang. Denn Gössner darf auf ein Hintertürchen hoffen. Sie habe in ihrer Karriere gezeigt, sagte Müssiggang, aus eigener Kraft auf das Podium laufen zu können. „Das besitzt bei uns einen hohen Stellenwert. Und das werden wir auch dem DOSB sagen.“ Demnach könnten Müssiggang und Co. eine Olympia-Nominierung auch bei ausbleibender Norm empfehlen, „ins Detail möchte ich da jetzt aber nicht gehen. Allein schon aus Respekt vor den anderen Athleten, für die die Tür nicht verschlossen sein soll“, sagte der Bundestrainer.

„Ich bin“, sagt Gössner, „nach wie vor zuversichtlich, dass ich es schaffen werde.“