Geplatzte Hafenträume

taz-Serie „Hafenstadt Berlin“ (Teil 6): Der Spandauer Südhafen wollte vom Ausbau der Wasserstraßen profitieren. Aber so schnell wird das wohl nichts

von UWE RADA

Es gab Zeiten, da wuchsen die Spandauer Hafenträume in den Himmel. Wenn das Wasserstraßenkreuz in Magdeburg erst ausgebaut und Berlin vom Rhein aus auch mit 120 Meter langen, so genannten Großmotorgüterschiffen erreichbar sei, so die Hoffnung, dann werde auch der Spandauer Südhafen nicht mehr nur ein Schattendasein am Rande des Moabiter Westhafens führen. Dann nämlich gilt, was Südhafenchef Marcel Breuer schon vor acht Jahren prognostiziert hat: „Die neue europäische Wasserstraße führt genau an unserem 180.000 Quadratmeter großen Gelände vorbei.“

Die neue europäische Wasserstraße – das war die Hoffnung all derer, die nicht nur auf Schiene und Straße, sondern auch auf Flüssen und Kanälen den Traum von der nachholenden Modernisierung Ostdeutschlands träumten. Das „Projekt 17“ der mit dem Bundesverkehrswegeplan 1992 beschlossenen „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“ versprach tatsächlich den erhofften Anschluss der ostdeutschen Wasserstraßen über Elbe-Havel- und Mittellandkanal an den Rhein und nach Rotterdam oder über den Elbe-Seitenkanal nach Hamburg – und damit an zwei der drei größten Seehäfen Europas. Und der Südhafen in Spandau sollte als ältester Hafen Berlins (erbaut zwischen 1906 und 1911) ebenso davon profitieren wie der Osthafen in Friedrichshain. Mit dem Hafen Späthsfelde stand sogar der Neubau eines Hafens auf der Agenda der Wasserbauer und Binnenschiffer.

Entsprechend liefen die Umweltschützer Sturm gegen die Pläne. Mit dem Ausbau von Havel und Elbe, meinte Winfried Lücking, der Gewässerbeauftragte des BUND, seien zwei der letzten frei fließenden Flüsse in Mitteleuropa in Gefahr. Protest gab es aber auch von Seiten der Kulturszene. Wegen der Absenkung des Wasserspiegels infolge des Ausbaus, so die Befürchtung vor allem aus Potsdam, sei die Schlösser- und Parklandschaft, immerhin von der Unesco zum Weltkulturerbe erhoben, bedroht. Das Bündnis gegen den Havelausbau, das daraufhin entstand, zeigte erstmals die Grenzen der Wasserstraßenträume auf.

Seitdem ist viel Wasser die Havel hinabgeflossen. Nicht mehr nur die Umweltschützer zweifeln inzwischen am volkswirtschaftlichen Nutzen des Wasserbaus, auch die Politiker melden Bedenken an. Im aktuellen Berliner Hafenkonzept aus dem Jahre 2002 wird sogar ausdrücklich von einer weiteren Abnahme der Binnenschifffahrt ausgegangen. Zur Begründung heißt es: „Seit der Aufstellung des Bundesverkehrswegeplans 1992 ist die tatsächliche Entwicklung der Binnenschifffahrt hinter den Prognosen zurückgeblieben.“

Dessen eingedenk hat auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ihre Prognosen der Wirklichkeit angepasst. So wird der Ausbau der so genannten Südtrasse über den Teltowkanal bis zum Osthafen nicht weiter verfolgt. Der Osthafen selbst wird aufgegeben und zum so genannten Umnutzungsstandort für Kultur und Kommerz (siehe Teil 5 unserer Hafenserie am 16. Juni). Damit entfällt auch die umstrittene Anhebung der Glienicker Brücke an der Grenze zwischen Potsdam und Berlin.

Stattdessen konzentriert sich der Senat nun ganz auf die Nordtrasse vom Sacrow-Paretzer Kanal über den Jungfernsee, den Wannsee bis zur Spreemündung in die Havel und den Moabiter Westhafen. Diese Nordtrasse soll nach wie vor für Großmotorgüterschiffe und langfristig sogar für 185 Meter lange Schubverbände ausgebaut werden. Darüber hinaus soll sie in ihrem weiteren Verlauf über Schwedt bis ins polnische Stettin führen. Der dafür notwendige Neubau eines Schiffshebewerkes in Niederfinow ist bereits beschlossene Sache.

Auf den Ausbau der Nordtrasse hofft man auch im Südhafen Spandau am Tiefwerder Weg, der nach dem neuen Berliner Hafenkonzept des Senats neben dem Westhafen und dem Neuköllner Hafen als einziger Hafenstandort übrig bleiben soll. Und hatte nicht unlängst sogar Verkehrsstaatssekretärin Maria Krautzberger dem Spandauer Hafen eine wichtige Rolle im „kombinierten Verkehr Wasserstraße – Straße“ zugesprochen? „Der Westhafen und der Südhafen Spandau“, so Krautzberger bei einem Treffen mit ihrem brandenburgischen Kollegen Reinhold Delmann, „sollen zu innerstädtischen trimodalen Logistikzentren entwickelt werden.“ Nur bei diesem flexiblen Containerumschlag von der Straße auf das Wasser oder vom Wasser auf die Schiene, so Krautzberger, liege das Entwicklungspotenzial der Binnenschifffahrt.

Noch ist allerdings auch das Zukunftsmusik. Auch für den zweilagigen Containertransport müssen auf der Nordtrasse zwischen Potsdam und Westhafen neun Brücken auf eine Durchfahrtshöhe von 5,25 Meter angehoben werden. Und hat nicht auch die Fertigstellung des Magdeburger Wasserstraßenkreuzes im Oktober 2003 gezeigt, dass bei weitem nicht die Zuwachsraten aufs Wasser kamen, die die Wasserbauer versprochen hatten – trotz der Anpassung der Prognosen an die Wirklichkeit? Für den BUND ist deshalb klar: Mit dem jetzigen Ausbaustand soll Schluss sein. Schon jetzt nämlich seien alleine die Brandenburger Wasserstraßen nur zu 30 Prozent ausgelastet. „Vor einem Ausbau der Flüsse“, heißt es folglich in einem Forderungskatalog des BUND, „müssen zuerst die vorhandenen Kapazitäten ausgeschöpft werden.“

Am Spandauer Südhafen wissen sie inzwischen, dass eine weitere Anpassung der Prognosen an die Wirklichkeit wohl nötig werden wird. Der Hafenbetreiber Behala hat seine Konsequenzen bereits gezogen. Von den 18 Hektar Hafenfläche wird ein Drittel in Zukunft umgenutzt werden. Für weitere sechs Hektar sucht die Behala dringend neue Gewerbemieter.