: Her mit anderen Umlauten
Wofür steht das Schwarz in Schwarzrotgold? Ein Berliner Spaziergang von der WM-Fanmeile zum Deutschen Historischen Museum zeigt: Das offizielle Deutschland ist so weiß wie eh und je
VON CLAUDIA KOONZ
Für jeden, der dieser Tage Unter den Linden entlangläuft, breitet sich die Überfülle einer multikulturellen Welt aus. Wilde Hüte und farbenfrohe Hemden bestimmen das Bild. Die verschiedensten Dialekte, Sprachen, Trinklieder und Freudenrufe übertönen den Verkehrslärm. Schwer vorstellbar, dass sich an anderen Ecken dieses offenherzige Gastgeberlandes No-go-Areas finden, wo viele dieser Fans in Gefahr kommen könnten.
Doch ein zweiter Blick zeigt ein anderes Bild. Das offizielle Deutschland präsentiert sich Unter den Linden so weiß wie eh und je. Die Botschaft ist einfach und klar: Gäste sind willkommen, aber Einwanderer haben hier keinen Platz. Man betrachte etwa die farbigen Poster an den Bauzäunen der U-Bahn, die dutzende fröhlicher Deutscher vor gelben U-Bahn-Wagen zeigen. Sie tragen Sportswear, Uniformen, Bauhelme, Anzüge oder Minikleider. Nicht ein Gesicht ist dunkel. Nicht ein Bekleidungsteil suggeriert eine Herkunft jenseits der deutschen Grenzen.
Geht man weiter und betritt das Zeughaus des Deutschen Historischen Museums, präsentieren dort hundert lebensgroßen Figuren „Deutschland, das Land der Ideen“. Ohne Zweifel wollen die Macher eine Generation zeigen, die Deutschland humanes Potenzial verkörpert. Auch diese Zukunft kommt ohne dunkles Gesicht oder ein Kopftuch aus. Verlässt man die „Land der Ideen“-Ausstellung und geht die Treppe herauf in die neu eröffnete ständige Ausstellung des Museums, landet man rasch in einer brillanten Ansammlung von Uniformen und Kleidern, Bildern, Maschinen und Einrichtungsgegenständen, die die Geschichte des deutschen Volks vom Jahre 100 bis in die Neunziger des letzten Jahrhunderts erzählen. 14 Wissenschaftler haben über 8.000 Gegenstände zusammengetragen, die die turbulente Geschichte dieses Landes dokumentieren – unter besonderer Berücksichtigung des „dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte“, der Nazizeit. Die Macher sagen, dass sie jeden „einseitigen, linearen oder zielgerichteten Blick“ vermieden und sich zum Ziel gesetzt hätten, eine Frage zu beantworten: „Wie sehen die Deutschen sich selbst?“
Doch so wie das Museum es darstellt, haben die Deutschen wenig Platz für religiöse und ethnische Vielfalt jenseits der jüdisch-christlichen Traditionen. Außer dem Foto einer Moschee, einer Ausstellung zur türkischen Eroberung Mitteleuropas und einer kurzen Erwähnung der deutschen Kolonien ist dies Leitkulturgeschichte. Es finden sich keine Spuren der Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkriegs, der Gastarbeiter aus der Wirtschaftswunderzeit oder der rund neun Prozent der deutschen Bevölkerung, die heute als „Fremde“ gelten. Die Abteilung „Flucht, Vertreibung und Integration“ scheint ausschließlich ethnisch Deutschen vorbehalten zu sein. Sie beschränkt sich auf das Leid der Vertriebenen. Dieses Deutschland würde das Herz eines jeden völkischen Intellektuellen der Dreißiger vor Freude hüpfen lassen.
Man muss sich klar machen, wo das Problem liegt. Der Glaube, nur Migranten und Rassisten müssten sich ändern, ist falsch. Das Selbstbild der deutschen Mehrheitsgesellschaft muss sich ändern. Anders als die komplexen Überlegungen zur Reform des Bildungssystems für Migranten oder soziale Projekte für rassistische Jugendliche suggerieren, kann das durch einfache Schritte geschehen. Die Gesichter, die Deutsche in den Medien sehen, müssen diversifiziert werden. Nachrichtensprecher mit anderen Umlauten in ihren Namen oder Talkshowgäste mit Akzent können Platz für das „Sie“ in einer „Wir“-Kultur schaffen. Was nicht heißen soll, dass Migranten für ihre Subkulturen sprechen sollen. Im Gegenteil, es gilt die Repräsentation von Mainstreamthemen zu diversifizieren.
Die Deutschen haben in den vergangenen Jahrzehnten viel Energie auf die schwierige Aufarbeitung ihrer Vergangenheit verwendet. Es ist an der Zeit, die Lehren jener Beschäftigung auf die Gegenwart anzuwenden und die letzten Spuren des jus sanguines aus dem Feld zu tilgen, in dem entschieden wird, wie Deutschsein repräsentiert wird.
Die Autorin ist Professorin für Geschichte an der Duke University und war im Frühjahr 2006 Fellow an der American Academy. Übersetzung: Tobias Rapp