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Archiv-Artikel

Risiko aus Tradition

TORFKAHN-PROZESS Nach einem tödlichen Unfall bekommen Eigner und Skipper eines verunglückten Ausflugsbootes Bewährungsstrafen, die Bootsbauer einen Freispruch

Schon der Torfkahn an sich, sagt der Amtsrichter, „hat ein Stabilitätsproblem“

VON JAN ZIER

Wenn man es ganz genau nimmt, dann müssten Fahrten mit historischen Torfkähnen und deren Nachbauten aus Sicherheitsgründen verboten werden. Das macht, das will aber keiner, von den Schiffern vor Ort bis hinauf zur EU, aus historischen, aus kulturellen, aus wirtschaftlichen Gründen. Und weil doch jahrzehntelang nichts passiert ist. Bis zu jenem Tag im August des Jahres 2008, als nach einem Bootsunglück nahe Worpswede eine 70-jährige Frau in der Hamme ertrank, zehn weitere zum Teil schwer verletzt wurden. Der Eigner und der Skipper jenes Torfkahns wurden gestern vom Amtsgericht wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung zu zwölf und acht Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Die beiden mitangeklagten Bootsbauer wurden freigesprochen.

Der Torfkahn an sich, sagt Amtsrichter Hans Ahlers, „hat ein Stabilitätsproblem“. Er ist im Grunde genommen zu schmal, jedenfalls um mehr als ein Dutzend Personen zu befördern. Wie viele er überhaupt ohne Probleme fassen kann, ist unklar. Sicher ist nur: Der Torfkahn kentert leicht. So wie in diesem Fall. Doch wie so ein Schiff genau gebaut sein muss, darüber gibt es keine präzisen Vorgaben – bis heute. Lediglich ein paar Generalklauseln finden sich in der Hamme-Verordnung, sie hat noch eine längst aufgelöste Bezirksregierung erlassen. Und es gibt auch keinen TÜV, der so einen Kahn kontrollieren würde. Einschlägige Gesetze für die Binnenschiffahrt gelten nicht für Torfkähne. Auch die Berufsgenossenschaft hat die „Neu Helgoland“ vor dem Unglück nicht moniert – so wenig wie all die anderen Boote dieses Typs. Selbst der Verteidiger eines der Bootsbauer spricht von einem „erhöhten Risiko“. Dennoch, sagt er, sei die Konstruktion des Torfkahns „vollkommen in Ordnung“. Nur müsse man das Risiko „steuern“.

Das Unglücksschiff war der Nachbau eines anderen. Doch weil der Motor nicht in den dafür vorgesehenen Schacht passte, wurde der ausgesägt, gegen die erklärten Bedenken der beiden Schiffbauer. Die Folge: Der Sicherheitsabstand der Bordwand zum Wasserspiegel war sehr gering. So konnte – zumal bei erhöhtem Tempo – leicht Wasser eindringen, das Boot instabil werden. Helmut B., 81, der die „Neu Helgoland“ an jenem Tag steuerte, sei zu schnell gefahren, sagt das Gericht. Das Boot läuft voll Wasser. Schließlich bricht Panik aus, als der Steg für die Landfrauen aus Bad Segeberg schon zum Greifen nahe, das Schiff zum Teil schon vertäut ist. Schließlich verhakte sich Frau S. unter einer Persenning, die der Eigner eingebaut hatte. Und ertrank. Inzwischen sind solche Wetterschutzplanen nicht mehr erlaubt. Die Staatsanwältin nennt sie eine „Todesfalle“.

Sie warf allen Angeklagten „ein erschreckendes Maß an Sorglosigkeit“ vor, beantragte für die beiden Bootsbauer jeweils Geldstrafen in vierstelliger Höhe. Doch für Amtsrichter Ahlers waren sie „nur ausführendes Organ“. Eine Gelegenheit, ihr fertiges Boot auf dem Wasser zu testen hatten sie nicht. Doch der Eigner, sagt das Gericht, hätte das Problem sehen, die Gefahr vorhersehen können. Heinz K., 74, ist schon im Torfkahngeschäft tätig, seit er in den 90er Jahren in Rente ging. Für ihn ist es ein Hobby, das kein Geld abwirft. Das Unglück, so sein Verteidiger, hätte auch mit anderen Torfkähnen passieren können.