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Archiv-Artikel

Wir Kinder vom Bauernhof

HERKUNFT Zwischen Sehnsucht und Selbstverwirklichung: Zwei Berliner Freundinnen stammen aus Niederbayern. Nur eine kann sich vorstellen, wieder zurückzugehen

Seit zehn Jahren ist Heidi in Berlin. Ihre Eltern haben sie noch nie besucht

VON KATHARINA BUESS

Maria ist 31 und hat Stationen in New York, Exeter und Los Angeles hinter sich. Sie wohnt im Prenzlauer Berg, arbeitet als Assistentin einer Geschäftsführung und ist immer schick gekleidet. Wir kennen uns von der Uni und von ausschweifenden Partys. Dass sie und Heidi, eine andere sehr gute Freundin von mir in Berlin, von einem niederbayerischen Bauernhof kommen, wusste ich zwar. Doch als ich an Ostern mit zu Maria nach Hause fuhr, einem kleinen Biohofbetrieb mit ein paar Kühen und Hühnern und Zimmern für Feriengäste im Bayerischen Wald, war ich doch irritiert, sie in völlig unförmiger Latzhose im Kuhstall zu sehen. Morgens stand sie um halb sechs auf, um ihrer Mutter beim Melken zu helfen. Tagsüber wurde gewandert, ausgemistet und viel gegessen. Wenn die Familie beim Essen saß und bayerisch redete, verstand ich kaum ein Wort. Ich hatte das Gefühl, bisher nur die Hälfte meiner Freundin gesehen zu haben.

Der Hof gehörte ursprünglich Marias Großeltern. Bis sie 13 war, war sie begeistert von der Arbeit im Stall. Zuzusehen, wie eine Kuh kalbt, war für sie ein Höhepunkt. Ihr Bruder wohnt heute noch auf dem Hof, ist gelernter Schreiner und Werkzeugmacher und packt jeden Tag mit an. Maria hat sich als Teenager gelangweilt und manchmal ein bisschen geschämt. Sie achtete penibel darauf, sich mehrmals am Tag umzuziehen, um nicht nach Kuhstall zu riechen. Ihr Vater lachte dann und sagte: „Spinn doch nicht so rum, nimm halt a Gschmackl mit.“

Maria wollte die Welt sehen, studieren. Aufs Gymnasium gingen sonst nur die Kinder von Brauereibesitzern oder von großen Gehöften. Die Eltern waren zuerst skeptisch, die Großeltern wollten, dass Maria Köchin wird.

Inzwischen kann Maria verstehen, warum ihr Vater unbedingt den Hof haben wollte, obwohl er nicht der älteste Sohn war. Und trotz aller Entbehrungen. „Es ist so schwer, sich in der Welt etwas Eigenes aufzubauen. Dort zu leben ist sicherer. Außerdem ist die Lebensqualität einfach besser.“ Wenn Maria nach Hause fährt, packt sie nur wenig Kleidung in den Koffer. Damit sie auf dem Rückweg Essen mitnehmen kann: Brot, selbst gemachte Butter, Kalbskäse und Marmelade.

In Berlin sprechen Fremde sie häufig auf ihren bayerischen Dialekt an. Manchmal neugierig, oft auch überheblich. Darauf reagiert sie gereizt. Vor kurzem drehte sie jemandem daraufhin beleidigt den Rücken zu. Nun weiß ich, dass sie zu Hause mit der Heugabel in der Hand schuften kann. Eine kleine Diva ist sie trotzdem.

Als ich Maria und Heidi einander vorstellte, gerieten sie sofort ins „Schmatzen“, was auf Bayerisch so viel wie plaudern heißt. Heidi erklärte mir später, dass sie es „abgefahren“ findet, „dass hier noch andere Kinder vom Bauernhof rumlaufen“.

Heidis Eltern haben einen Schweinemastbetrieb in Niederbayern, auch dieser von den Eltern ihres Vaters geerbt. Fragt man sie, wie sie diesen Beruf findet, zieht Heidi die Nase kraus. Schön sei das nicht, wegen der Massentierhaltung. „Die sind ja explizit da, um getötet zu werden.“ Im Alter von 14 bis 31 hat sie kein Fleisch gegessen. Jetzt ist sie 33 und hat den strengen Vegetarismus aufgegeben. Früher hatten die Eltern Kühe, und Heidi liebte die Kälber. Bambi nannte sie ihr Lieblingskalb. „Und wenn das erwachsen war und geschlachtet wurde, kam ein neues Bambi hinterdrein.“ Doch die langen Arbeitstage in der Milchwirtschaft wurden den Eltern schließlich zu anstrengend.

Vier jüngere Geschwister hat Heidi, und bisher deutet nichts darauf hin, dass eines davon den Hof übernehmen wird. Eine Grundschullehrerin förderte Heidi, und sie kam aufs Gymnasium. Auch sie war die Erste in ihrer Familie, die studiert hat. In dem Haus ihrer Eltern gab es nur wenig Bücher. „Das war schon eine Leistung von mir, mich neu zu erfinden. Die normale Erwartung an meine Biografie wäre gewesen, zu heiraten und Kinder zu kriegen.“ Stattdessen hat sie ein Studium der Literaturwissenschaften und Gender Studies absolviert. Heute wohnt sie in einer Wohngemeinschaft in Kreuzberg, jobbt als Buchhändlerin und denkt über eine Promotion nach.

Für Heidi sind das zwei Welten. „Da treffen Konservativismus und eine kritische theoretische Weltsicht aufeinander. Das geht nur mit großer Toleranz auf beiden Seiten.“ Als sie klein war, war ihre Welt belebt von Übersinnlichem. Die Hölle und das Fegefeuer waren wichtige Themen in der Erziehung durch die religiöse Großmutter.

Seit zehn Jahren ist Heidi nun in Berlin, aber ihre Eltern haben sie noch nie besucht. Zu weit ist der Weg, und wer soll in der Zeit die Arbeit machen? Lange hatte Heidi Komplexe: „Besonders auf dem Gymnasium wurde mir vermittelt, dass ich durch meine Herkunft ein geringes Ansehen habe.“ Früher witzelte sie oft darüber, dass sie diese oder jene Prüfung im Studium nur durch ihre Bauernschläue gemeistert habe. Heute ärgert sie das Klischee, dass Menschen auf dem Land nicht klug seien. Ihre Eltern seien schließlich Unternehmer, die große Verantwortung tragen. Wenn sie sich vorstellt und mal wieder jemand anfängt, das Lied von der Heidi in den Bergen zu singen, lacht sie nur. Ärgern kann sie damit keiner.

Maria kann sich vorstellen, ihrer Sehnsucht nachzugeben und eines Tages wieder zurück auf ihren Bauernhof zu gehen. Heidi nicht. Für sie definiert sich Heimat nicht über einen Ort, sondern über Freunde und Familie. Außerdem will sie in einer pluralistischen Umgebung leben, mit Menschen, die ihre Weltsicht teilen. Sie will in Berlin bleiben.

■  Katharina Bueß, Köln–Tübingen–Berlin