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Archiv-Artikel

Schlechte Aussichten

FACHKRÄFTEMANGEL Hamburger Unternehmen können ihre freien Stellen teilweise nur schwer besetzen. Das liegt nicht nur am viel beschworenen demografischen Wandel, sondern auch an schlechten Arbeitsbedingungen

VON NIELS HOLSTEN

Etwa jedes vierte Unternehmen in Hamburg hat Probleme, freie Stellen zu besetzen. Und 29 Prozent halten den Fachkräftemangel gar für das größte Geschäftsrisiko in den kommenden zwölf Monaten. Das hat eine aktuelle Umfrage der Hamburger Handelskammer ergeben.

Andererseits gibt es in Hamburg über 70.000 Arbeitslose. Was also läuft da falsch?

„Viele Unternehmen haben kein Interesse, sich selbst um ihren Nachwuchs zu kümmern“, sagt Roland Kohsiek, bei Ver.di Hamburg zuständig für die Arbeitsmarktpolitik. „Die bedienen sich am Markt, lutschen ihre Mitarbeiter aus und feuern sie dann.“ Es gebe aber auch Betriebe, die sich vorbildlich verhalten: „Die wissen genau, was sie brauchen, und investieren dann auch dementsprechend in Aus- und Weiterbildung“, sagt Kohsiek. „Das ist Klasse.“

Und im Prinzip findet das nicht nur er: Darin, dass Ausbildung der richtige Weg gegen den verstärkt drohenden Fachkräftemangel ist, sind sich alle Seiten einig. Denn die deutsche Gesellschaft altert – und schrumpft. Sogar für die Zuzugs-Stadt Hamburg prognostizieren die Forscher eine sinkende Bevölkerung ab 2020.

Der Hamburger Senat hat deshalb eine „Strategie zur Sicherung des Fachkräftebedarfs“ entwickelt, die er im Mai 2013 vorgestellt hat – zusammen mit der Agentur für Arbeit, dem Jobcenter, der Handels- und der Handwerkskammer, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und dem Unternehmensverband Nord. Ab Frühjahr 2014 soll erstmals ein Fachkräftemonitor aufzeigen, wie der Bedarf an Fachkräften in der Hamburger Wirtschaft konkret aussieht. Das soll helfen, mit gezielten Maßnahmen gegenzusteuern.

Bei der Strategie geht es darum, wie das Arbeitskräftepotenzial aller gesellschaftlichen Gruppen gesichert und ausgeschöpft werden kann. Jugendliche, Frauen, Ältere, Migranten und Menschen mit Behinderung: Sie alle sollen dem Arbeitsmarkt zugeführt werden. Allerdings ohne dafür mehr Geld zur Verfügung zu stellen, wie Sönke Fock, der Chef der Agentur für Arbeit in Hamburg, einräumt: „Das ist mehr eine Frage der Zusammenarbeit aller Akteure.“ Die Kräfte müssten gebündelt werden.

So hat die Agentur für Arbeit die Jugendberufsagentur ins Leben gerufen, um mehr Jugendliche in Ausbildungsverhältnissen unterzubringen. Die Jugendberufsagentur gibt es mittlerweile an sieben Standorten in Hamburg. Darüber hinaus soll mit dem „Spätstarter-Programm“ Menschen zwischen 25 und 35, die noch ohne Ausbildung sind, zu einem Beruf verholfen werden. Unternehmen werden angehalten, ihre Mitarbeiter weiterzuqualifizieren, denn: „Perspektive im Beruf ist wichtig – dass macht Stellen attraktiv“, sagt Fock.

„Der beste Weg den eigenen Fachkräftebedarf zu sichern, ist es, selbst aktiv auszubilden“, sagt auch Hans-Jörg Schmidt-Trenz, der Hauptgeschäftsführer der Handelskammer. Mitarbeiter, die im Betrieb ausgebildet werden, hätten eine „höhere emotionale Verbundenheit“ zu ihrem Arbeitgeber als Angeworbene. Laut der Umfrage aus seinem Haus will die Mehrheit der teilgenommenen Unternehmen verstärkt in Aus- und Weiterbildung investieren.

Dem Gewerkschafter Kohsiek reichen solche Lippenbekenntnisse allerdings nicht. Er fordert einen „Rechtsanspruch auf innerbetriebliche Weiterbildung“. Außerdem müsse die Politik „mehr Geld in die Hand nehmen für abschlussbezogene Qualifikation“, sagt Kohsiek. Laut seiner Rechnung sind die Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik in den letzten vier Jahren um 50 Prozent zurückgegangen.

Aber nicht bei jeder Stelle, die schwer zu besetzen ist, ist der Grund die mangelnde Qualifikation der Bewerber. In der Handelskammer-Umfrage beklagen sich insbesondere die Gastronomie und die sogenannten unternehmensbezogenen Dienstleister darüber, keine passenden Arbeitskräfte zu bekommen.

„Dort liegt es an der schlechten Bezahlung und den schlechten Arbeitsbedingungen“ sagt Ver.di-Experte Kohsiek. Bei den unternehmensbezogenen Dienstleistungen handele es sich vor allem um die von den Unternehmen ausgelagerten Arbeiten wie zum Beispiel der Reinigungsservice im Hotelgewerbe. „Hier“, so der Gewerkschafter, gebe es „eine hohe Fluktuation und wenig Perspektive“.