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Archiv-Artikel

„Nur Gewalt hat den Kick“

Alle loben die friedliche WM. Weshalb sich manche Fans wie am Wochenende in Stuttgart trotzdem prügeln

taz: Herr Kersten, trotz der Randale wie in Stuttgart betonen Medien unermüdlich, wie friedlich diese Fußball-WM abläuft. Stirbt der Hooliganismus etwa aus?

Joachim Kersten: Das glaube ich nicht. Viele der Erfahrenen sind älter geworden, und der Nachwuchs wird nicht planmäßig rekrutiert, aber ihn gibt es.

Trotzdem sind wenige Hooligans zu Besuch in Deutschland.

Weil die Kontrollmaßnahmen im Rahmen der Europäisierung intensiviert worden sind. Die Polizei kennt ihre Pappenheimer.

Wie muss man sich die vorstellen? Als Prolls?

Nein, die haben zuallermeist anständige Berufe.

Und weshalb riskieren sie diese Gewalt?

Wegen des Kicks, den nur Gewalt hat. In Gewalt kommt Körperlichkeit zum Einsatz – und zum Ausdruck.

Weshalb beim Fußball?

Weil es die populärste Ballsportart in unserer Kultur ist. Fußball ist eigentlich ein ziemlich intellektuelles Spiel – aber beim Kick kommt es gerade nicht auf Intellektualität an, sondern auf den Rausch der Gewalt. Die Gewalt, die auf dem Spielfeld nicht stattfindet, weil es dort so verregelt ist, muss woanders stattfinden.

Weshalb ist Gewalt überhaupt nötig?

Gewalt macht einfach Spaß. Sie filmen sich und zeigen diese Handyfilmchen zu Hause stolz wie Urlaubsbilder. Eine tolle Sache, physische Gewalt unter Männern. Am liebsten würden sie es auf dem Spielfeld machen, vor Publikum, aber das geht eben nicht. Und es ist doch nicht so, dass es völlig entgrenzt wäre, sondern immer Regeln unterworfen – getötet werden soll niemand.

Das klingt wie eine archaische Skizze.

Je weniger in der modernen Gesellschaft Formen körperlicher Maskulinität benötigt werden, umso mehr wird diese ritualisierte Form der Gewalt zelebriert.

Und wo bleibt die Gewalt, wenn man sie nicht bei einer WM ausagieren kann?

Jedenfalls nicht am Arbeitsplatz oder im Beziehungsleben. Nur beim Fußball verabreden sie sich, um sich zu schlagen – mit legitimen Feinden, kommen sie aus einer anderen Stadt, einem anderen Stadtteil oder einer anderen Nation.

Kann Hooliganismus zum Verschwinden gebracht werden?

Nein, ich glaube nicht. In bestimmten Kreisen ist Prügeln normal, bei den Iren früher in New York zum Beispiel. Chuligan heißt im Russischen einer, der Gewalt liebt – einer, der bei uns Rowdy hieße oder Halbstarker.

Männer, die keine Weicheier sind.

Körperlich nicht. Für die ist eine Schlägerei nicht so etwas Entsetzliches, nicht etwas, über das man in der Wohngemeinschaft noch lange sprechen muss.INTERVIEW: JAN FEDDERSEN