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Archiv-Artikel

Die Vielbeschäftigte

Kathrin Passig, Sachbuchautorin, Übersetzerin, Kolumnistin, überzeugte Jury und Publikum mit ihrem literarischen Debüt

VON JÖRG SUNDERMEIER

Ich lernte Kathrin Passig kennen, als sie für den Verbrecher Verlag den Vertrag für „Das nächste große Ding“ unterzeichnen sollte. Sie war müde, kurz angebunden und schlief kurz ein. Sie entschuldigte sich nicht, erklärte nur: „Ich bin müde.“ Mehr war nicht zu sagen. Als sie das Buch Korrektur las, brauchte sie für 80 Seiten keine zwei Stunden. Ihre Korrektur war perfekt. Sie ist schnell. Vielleicht ist sie daher oft müde, vielleicht oft wortkarg, weil sie müde ist. Wenn sie aber spricht, dann trifft sie.

Kathrin Passig ist keine Unbekannte im Literaturbetrieb, wenn man ihn als das weite Feld der Textproduktion begreift. Sie übersetzt mit Gerhard Henschel Bücher, ist mit Wolfgang Herrndorf oder Joachim Lottmann bekannt, schrieb mit Ira Strübel eine Kolumne in der taz und veröffentlichte auf der Wahrheit-Seite. Sie ist Kolumnistin der Berliner Zeitung, schreibt für Spiegel Online und c‘t. Für das Blog riesenmaschine.de, das sie mit Holm Friebe, Sascha Lobo und anderen betreibt, erhielt sie kürzlich den Grimme-Online-Award. Außerdem führt sie mit Friebe die Zentrale Intelligenz Agentur, eine Werbeagentur ohne Aufgabenfeld, die oft mit Literaten arbeitet. Gleichzeitig ist Passig aber eine Unbekannte im Literaturbetrieb. Sie gilt als Sachbuchautorin, noch dazu als eine, die über merkwürdige Themen schreibt. Mit Ira Strübel veröffentlichte sie ein Handbuch für Sadomasochisten mit dem schönen Titel „Die Wahl der Qual“ bei Rowohlt, dort erscheint bald auch das mit Alexander Scholz verfasste „Lexikon des Unwissens“. In „Das nächste große Ding“ stehen ihre Berliner-Zeitungs-Kolumnen, die sich um die Frage drehen, was morgen in Mode sein wird.

36 Jahre ist Passig alt, in Regensburg und Berlin hat sie Anglistik und Germanistik studiert, seit 1991 lebt sie in Berlin. Dass sie witzig und pointiert schreibt, wussten ihre Leserinnen und Leser, dass sie aber an Geschichten arbeitet, ist neu. Wie auch, sagte Passig doch nach der Preisverleihung, „Sie befinden sich hier“ sei ihr erster literarischer Text gewesen. Das aber ist kokett, obschon es die ORF-Moderatoren ebenso begeistert schluckten, wie es Iris Radisch als Beleg für ihre These nahm, Passig sei eine „Entdeckung“. Man mag die Glosse und das lustige Gedicht für niedere Formen halten, sie sind trotzdem Literatur. Dass Passig in der Lage sein würde, Belletristik zu verfassen, verwundert niemanden, der sie länger kennt.

Doch genau das ist die Crux mit dem Bachmann-Preis – die Ränder der Literatur, das, was in den früheren Kanon der Suhrkamp-Luchterhand-Hanser-Kultur nicht hineinpasste, wurde zwar präsentiert, doch nicht akzeptiert. Solche Autoren lud man sich nur ein, um die Show aufzufrischen. Radisch meinte, ihr sei Passig bei der Sichtung zuvor nicht aufgefallen, sie habe den Siegertext nicht als einen Bachmann-Text erkannt. Da hat sie Recht – denn es ist kein Bachmann-Text. Kathrin Passig ist keine Bachmann-Literatin. Schon mit ihrem Vorstellungsfilmchen machte Passig klar, dass sie a) die Funktionsweisen von Medien kennt und b) mit dem beseelten, verschüchterten Auftreten, das im Literaturbetrieb en vogue ist, nichts zu tun haben will. Wie sie zu ihrem Thema gekommen sei, will ein Journalist wissen. Sie habe gerade die populären Sachbücher über Polarexpeditionen verschlungen, antwortet sie knapp. „Sie befinden sich hier“ ist ein Text, wie er sich auch auf riesenmaschine.de hätte finden lassen können. Er ist präzise gearbeitet, wo Passigs Texte über Felsen bewohnende Rätselmäuse oder den Browser Firefox noch Vorstudien sind; er ist schnell geschrieben, offener, lockerer. Aber nicht nur unernst.

Der Autor ist Chef des Verbrecher Verlags