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Der französische Coach Domenech genießt vor dem Achtelfinale gegen Spanien seine Macht über Zinedine Zidane

KÖLN taz ■ Für Zinedine Zidane, ohnehin im Spätherbst seines Schaffens, fällt mit dem letzten Schlusspfiff für die Equipe Tricolore der Vorhang. Karriere beendet, merci. Spektakulär aufgefallen ist er bislang nicht – der Ball klebt nach wie vor an seinem Fuß, dazu vereinzelte kleine Tricks und feine Pässe. Dennoch ist die Geschichte von Zinedine Zidane bei dieser WM bislang dramatisch. Und sie könnte noch Volten nehmen in homerische Tragik.

Am Freitag in Köln war Zidane gelbgesperrt gewesen. Seine Elf hatte sich an seinem 34. Geburtstag mit einem mühsamen 2:0 gegen Togo ins Achtelfinale gegen den Favoriten Spanien gerettet, dadurch also seine Karriere verlängert. Zizou wurde vom Stadionsprecher sogar (fälschlicherweise) als Auswechselspieler angekündigt, was bei den Fans verwirrte Jubelstürme auslöste. Aber Zidane saß nicht mal auf der Bank, sondern im VIP-Bereich vor dem Fernseher. Nachher wurde er gesehen, wie er wortlos entschwand. Stellen wir uns vor, Frankreich wäre gescheitert: Die letzten Taten Zidanes, beim 1:1 gegen Südkorea in Leipzig, wären gewesen: eine umstrittene zweite Gelbe Karte wegen Schubsens, danach ein seltener Fehlpass und letztlich ein Einwurf. Trainer Raymond Domenech, den sie in Frankreich so sehr hassen, wie sie ihren Zizou lieben, hatte ihn in der 91. Minute ausgewechselt. Eine Demütigung. Wort- und blicklos hatte sich Zidane getrollt und in den Katakomben, endlich allein mit seiner Traurigkeit, aus verzweifelter Wut gegen eine Blechtür getreten. „Die Tür sieht aus, als ob jemand zwei Jahre lang dort seine Fußballschuhe abgetreten hätte“, so der Leipziger OK-Geschäftsführer Ulrich Wolter.

Die Geschichte Zidanes bei dieser WM ist auch die von Domenech. Am Freitag in Köln erschien der unnahbare, arrogante Coach in schickem schwarzen Anzug, dazu eine gewöhnliche Sporttasche über der Schulter. Hat der Sieg Ihren Job gerettet? „Ich bin Ihre Fragen leid.“ In der ersten Halbzeit lief nicht viel zusammen, später …“ – „Sind Sie erst zur zweiten Halbzeit gekommen?“ Gewolltes Lächeln. Der 54-Jährige weiß: Sie hassen ihn alle. Trotzdem versucht er zu scherzen. Das geht immer daneben: „Wäre Ihnen die Ukraine lieber gewesen als Spanien?“ – „Am liebsten wäre ich automatisch im Viertelfinale.“ Später: „Ich mag diese Fragen nicht, aber ich mache für Sie eine Ausnahme.“ Ein Gnadenerweis, und dann kam nur Blabla. Manchmal spricht Domenech absichtlich in Rätseln und lässt Reporter wissen: „Sie schreiben ja doch, was Sie wollen.“

Domenech genießt offenbar die Macht, über Zidanes Karriereende zu entscheiden. Kein Wort über seinen Kapitän, keine Silbe, dass der Sieg verhindert hat, dass einer der größten Fußwerker vor dem Fernseher seine Karriere hätte beenden müssen. Wird Zidane im Achtelfinale spielen? „Zidane ist einer von 23 Spielern.“ Und: „Wir haben ohne Zidane gewonnen.“ Am Wochenende sagte Domenech: „Die Entscheidung, ob Zidane spielt, werde ich am Montagabend treffen.“ Gespielte Spannung, übliches Branchengeklapper? Irgendwer will Domenechs Entscheidung vorzeitig aufgeschnappt haben: „Er wird spielen.“

Selbst das hieße noch nichts. Vielleicht wechselt der eiskalte eisgraue Wolf seinen Kapitän beim Stand von 0:3 in der Nachspielzeit ein, und Zidane berührt genauso selten den Ball wie David Trezeguet, der gegen Südkorea für ihn gekommen war. Dem Zyniker Domenech wäre das zuzutrauen. Und in den Geschichtsbüchern des Fußballs würde stehen: Die letzte Ballberührung des großen Zinedine Zidane, der mit seinen zwei Toren im Finale 1998 Frankreich zum Weltmeister machte, war ein erfolgreicher Einwurf.

BERND MÜLLENDER