: Brutal bunt
KUNST Wie ein Landschaftsmaler in der Höhle hat David Tremlett ein Geschoss der Hamburger Galerie der Gegenwart bemalt
VON PETRA SCHELLEN
Eigentlich ist er Bildhauer. Andererseits Zeichner. David Tremlett ist immer eigene Wege gegangen, beziehungsweise: die seiner Generation. Mit Richard Long, Hamish Fulton, Gilbert & George ist er aufgewachsen, hat mit ihnen den Skulptur-Begriff revolutioniert, ist über alle Kontinente gereist. Landschaften hat er gemalt, zunächst auf Papier, später auf Wände. Manchmal in halb verfallene Ruinen in Afrika, wo es kein Mensch sieht.
Das alles macht er seit den Siebzigern und natürlich auch in Europa. 1972 war er auf der documenta 5 eingeladen, 1992 für den Turner Prize nominiert. Inzwischen zählt er zu den wichtigsten britischen Künstlern. Die Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem ist bei ihm fließend: Wohnhäuser hat er gestaltet, U-Bahn-Stationen, ein Gefängnis, Kirchen. Lustvoll bringt er, den Suprematismus zitierend, Linien und geometrische Formen auf die Wände, die so etwas wie Heimeligkeit gar nicht erst aufkommen lassen.
Auch nicht in der Gegenwarts-Galerie der Hamburger Kunsthalle, die die erste große Tremlett-Einzelausstellung in Deutschland seit 1992 zeigt. Eine Ironie der Verhältnisse ist dabei, dass ausgerechnet er, der sich so konsequent Räume aneignet, fast der Schließung des Hauses zum Opfer gefallen wäre. Wochenlang hatte Hamburg darüber gestritten, ob ein renommiertes Museum aus Geldmangel monatelang dichtmachen dürfe. Geeinigt hat man sich auf eine Teilschließung, die die von Tremlett bespielte Etage ausnimmt.
Vergänglichkeit ist ohnehin Tremletts Lieblingsthema, nutzt er für seine Wandmalereien doch die im 18. Jahrhundert aufgekommenen Pastellfarben, die sich leicht abwischen lassen; zudem werden die eigens für die Kunsthalle geschaffenen Bilder im November ohnehin übertüncht. Bis dahin aber ist dort großes Farb-Theater zu erleben: Die Räume haben neue Proportionen bekommen – exakt gemäß dem Konzept der Kuratorin Sabrina van der Ley, die dem Quadrat-Wahn des Ungers-Baus etwas entgegensetzen wollte.
Der Beginn des Parcours aber – vier rot-braun-erdfarbene Riesenkreise – wirkt eher wie eine leicht verpoppte Reminiszenz der 70er; auch die rot-grün gestreifte Wand mit Buchstaben australischer Städtenamen bleibt harmlose Landschaftsmalerei. Aber das ist nur die Ouvertüre: Bald findet man sich zwischen schwarzen Linien wieder, die sich kraftvoll über die Wände ziehen. Die bunten Rauten und Tetraeder dazwischen, die – und hier bricht Tremlett den Suprematismus quasi autobiografisch – irgendwo gesehenen Grundrissen entstammen, scheinen Beiwerk. Die Linie ist für Tremlett zentral; früh faszinierten ihn Horizont und Landschaft seiner Heimat Cornwall, später Italiens, Indiens, Alaskas. Tremlett hat sich Landschaft erwandert wie Hamish Fulton und Richard Long, ohne so spektakulär in sie einzugreifen wie Long.
Trotzdem ist Tremlett mit seinem Spagat zwischen archaischer Technik und moderner Motivik, zwischen ewigkeitstauglicher Gattung und vergänglichem Material immer Landschaftsmaler geblieben. Er modelliert Farblandschaften in die Wand: Jeden einzelnen Farbstrich trägt er von Hand auf und wird so wieder Bildhauer, der jede Erhabenheit im Putz spürt – wie ein prähistorischer Höhlenmaler. Andererseits hat er nie den Illusionismus praktiziert, der die Wandmalerei des Barock prägte: Nie suggerieren seine Bilder Räume, sie bleiben stets abstrakt. Tremlett verändert Räume, einerseits. Er überformt sie, stört ihre Proportionen, macht sie brutal bunt. Andererseits hegt er einen fast ehrfürchtigen Respekt vor den Gegebenheiten: Immer bleibt die Struktur des Putzes unter seinen Farben sichtbar.
Das ist auch in der Hamburger Kunsthalle so, in der ein Raum derart mit horizontalen Farbfeldern gefüllt ist, dass er nur noch halb so hoch wirkt und an eine ägyptische Grabkammer erinnert. Diese Malerei ist trotz aller Abstraktion emotional. Sie verunsichert, etwa, wenn man sich zwischen vor- und hintereinander gestapelten Farb-Blocks wiederfindet; einziger Durchlass: eine rot gerahmte Weißfläche.
Tremlett hat hier sein Ziel erreicht: zwischen Abstraktion und Illusionismus zu verharren und die Welt im Unklaren darüber zu lassen, wo die Fläche endet und der Raum beginnt. Forsch konfrontiert er Konstruktivismus und Architektur, indem er die Dreidimensionalität der Architektur einerseits leugnet, andererseits qua Maltechnik betont. Ironisch überschreitet Tremlett mit seinen Geometrien Grenzen. Warum passt der schwarzgraue Kreis so knapp auf die Wand, als sei er objektiv zu groß dafür? Eine schöne Parabel auf den Konflikt zwischen Kunst und dem Gefängnis White Cube. Sinnlich fassbar wird diese Kluft auf den Graphitschmiere-Bildern, die Tremlett an seinen Brotjob als Automechaniker erinnern. Er habe Materialien gesucht, welche museumstauglich seien. Graphitschmiere ist da erfrischend grenzwertig – schon deshalb, weil man sie sofort anfassen will. Und das ist im White Cube ja meist verboten.
■ Bis 31. 10., Hamburg, Kunsthalle