Atomgegner im Visier

Die Polizei im Münsterland speichert rechtswidrig das Foto eines Atomgegners. Dies ist kein Einzelfall: Wer sich politisch engagiert, kann schon mal als Gewalttäter in ominösen Dateien landen

VON SEBASTIAN HEISER

Bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen gibt es offenbar Defizite beim Datenschutz. Wie ein Atomkraftgegner jetzt zufällig herausfand, haben die Beamten trotz Zusage ein Foto und weitere Daten von ihm nicht gelöscht, sondern weiter verwendet.

Zum Kontakt mit der Polizei kam es im Juli 2004. Damals protestierte in Ahaus eine Gruppe von etwa 20 Atomkraftgegnern auf einer Autobahnbrücke gegen einen Castor-Transport. Ihre Kundgebung war nicht angemeldet, die Polizei erteilte Platzverweise. Die Beamten nahmen einen Atomkraftgegner aus Münster in Gewahrsam und fotografierten ihn. Das folgende Strafverfahren wurde ohne Ergebnis eingestellt. Nun verlangte der Atomkraftgegner auch die Löschung des Fotos. Nach einigem Hin und Her gab die Polizei nach: „Die Vernichtung der [...] Unterlagen wurde von mir veranlasst“, heißt es in einem der taz vorliegenden „Abhilfebescheid“ des Polizeipräsidiums Münster, dem die Polizei Borken im Zusammenhang mit diesem Castor-Transport unterstellt war.

Doch erst jetzt kam bei einer Akteneinsicht zufällig ans Licht: Das Foto wurde nicht gelöscht und offenbar von der Polizei auch bei einer Zeugengegenüberstellung benutzt. Das Polizeipräsidium Münster konnte gestern auf Anfrage keine Stellung nehmen: „Wir versuchen gerade, den Sachverhalt zu rekonstruieren“, sagte ein Sprecher.

Die Atomkraftgegner sind empört. „Es zeigt sich erneut, mit welch fehlgeleiteter Energie die Polizei versucht, die Anti-Atom-Proteste zu kriminalisieren“, heißt es in einer Stellungnahme von vier Anti-Atom-Initiativen. Der Anwalt des Betroffenen, Wilhelm Achelpöhler, hat vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen die Polizei erhoben: „Der Fall hat mich verblüfft. So einer Erklärung einer Behörde kann man vertrauen, dachte ich.“

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete und Anwalt Hans-Christian Ströbele, meint: „Das ist schon ein dicker Hund. Wenn die Polizei entgegen ihres ausdrücklichen Versprechens solche Daten nicht löscht, dann steht die Glaubwürdigkeit des Staates und seiner Behörden auf dem Spiel.“ Jetzt müsse aufgeklärt werden: Wer hat das zu verantworten und wie konnte es dazu kommen?

„Eine repräsentative Statistik zu solchen Fällen gibt es nicht“, sagt Bettina Gayk, Sprecherin der Landesdatenschutzbeauftragten. Es gebe etwa ein bis drei berechtigte Beschwerden pro Jahr. Meistens Fälle, in denen Daten geringfügig länger gespeichert würden als erlaubt. Ein schwerwiegenderer Fall war im Datenschutzbericht 2005 geschildert: Bei einer Aktion für Umweltschutz hatten fünf Aktivisten auf einer Rheinbrücke ein Transparent entrollt, die Polizei speicherte sie als „politisch motivierte Straftäter“ in einer bundesweiten Datei. Nach nur zwei Wochen stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren ein – doch in der Datei änderte sich nichts. Die Landesdatenschützerin Bettina Sokol stellte klar: Sobald sich herausstellt, dass die Speicherung in einer solchen Datei zu Unrecht erfolge, müsse die Polizei auch die Löschung der Daten veranlassen. Sokols Sprecherin Gayk: „Wir finden nur wenige Einzelfälle – die Dunkelziffer ist in diesem Bereich sehr hoch.“