: Jugendrichter lernen Video
JUSTIZ Dass beim Verdacht des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen zukünftig Jugendrichter in die Ermittlungen involviert werden sollen, stößt in Bremen auf Skepsis
Thorsten Prange, Landgericht Bremen
VON EIKEN BRUHN
Die Bremer Jugendrichter stellen sich darauf ein, dass sie in Zukunft häufiger von sexuellem Missbrauch betroffene Kinder und Jugendliche befragen müssen. Der Hintergrund ist eine Gesetzesänderung zum 1. September 2013, nach der die Jugendgerichte in Jugendschutzsachen zuständig sein sollen – „wenn damit die schutzwürdigen Interessen von Kindern oder Jugendlichen, die in dem Verfahren als Zeugen benötigt werden, besser gewahrt werden können“ heißt es im Gesetzestext. Zudem sollen die Jugendgerichte bereits in Ermittlungsverfahren involviert werden, auch um Mehrfachbefragungen zu vermeiden.
Der Bremer Jugendrichter Karl-Heinz Rogoll ist skeptisch, ob das Gesetz die beabsichtigte Wirkung haben wird. Zum einen sei es immer noch möglich, dass aufgrund neuer Ermittlungsergebnisse eine weitere Befragung notwendig wird. Zum anderen hält er Jugendrichter nicht per se für besonders geeignet, mit Missbrauchsopfern zu sprechen. „Bisher haben wir damit nur wenig Erfahrung“, sagt Rogoll. Er selbst habe in 20 Jahren nie ein unter zehnjähriges Kind zu sexuellem Missbrauch befragen müssen. „Das macht bisher die Polizei während der Ermittlungen, die über große Expertise verfügt.“ Es komme selten vor, dass Kinder nach ihren Zeugenaussagen bei der Polizei in einer Hauptverhandlung vor Gericht noch einmal aussagen müssten. „Der Angeklagte hat einen Vorteil, wenn er gesteht und dem Opfer eine weitere Aussage erspart, weil er so eher mit einer Bewährungsstrafe rechnen kann.“
Sollten er und seine KollegInnen jetzt tatsächlich in Zukunft bereits während der Ermittlungsphase eingeschaltet werden, dann hält Rogoll Fortbildungen für sinnvoll. Und: „Wir brauchen dann wie die Polizei die Möglichkeit, Vernehmungen per Videotechnik in kindgerecht eingerichteten Räumen durchzuführen.“ Die aufgezeichneten Bilder einer richterlichen Vernehmung könnten dann als Beweismaterial in einer Hauptverhandlung verwendet werden. „Der Täter müsste sich das dann angucken und gesteht möglicherweise unter einem solchen Eindruck.“
Dass es sinnvoll ist, grundsätzlich auch in der Hauptverhandlung auf eine Videobefragung zu setzen, wie es ein Münchner Kollege kürzlich in der taz gefordert hatte, bezweifelt Rogoll. „Wenn es darum geht, dass das Opfer dem Täter nicht begegnen soll, dann kann man diesen auch jetzt schon für die Dauer der Befragung aus dem Raum entfernen.“ Er gibt auch zu bedenken, dass sich ein Kind nicht unbedingt wohl fühlen wird, wenn es bei der Befragung alleine mit dem Richter in einem Raum ist, aus dem das Video in den Gerichtssaal übertragen wird. „Sie können sich ja den Richter nicht aussuchen, ob Frau oder Mann.“
Am Bremer Landgericht, wo die schweren Fälle verhandelt werden, die eine Freiheitsstrafe von über zwei Jahren vorsehen, sieht man es ähnlich. „Wir setzen die Videotechnik nur sehr selten ein“, sagt der Gerichtssprecher Thorsten Prange. „Nach unserer Erfahrung wollen auch Kinder lieber die normale Befragung.“ Viele Personen seien dabei nicht zugegen, weil die Öffentlichkeit ausgeschlossen sei und die Täter den Raum verlassen müssten. Es komme auch selten vor, dass ein Verteidiger auf einer Befragung des Opfers bestehe, weil sich dies bei einer Verurteilung strafverschärfend auswirke.
Die Ausstattung am Landgericht sei veraltet, sagte am Dienstag der Sprecher des Justizsenators, Thomas Ehmke. Deshalb seien zuletzt Anlagen angemietet worden. „Sollte sich herausstellen, dass die Technik jetzt häufiger eingesetzt wird, muss man darüber nachdenken, ob eine eigene Anlage beschafft wird.“ Dafür gebe es aber noch zu wenig Erfahrungen. Und sollte das Gericht einen Fortbildungsbedarf anmelden, würde dieser erfüllt.