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Archiv-Artikel

Der kreative Kopf der Weltmeisterschaft

MAKARAPA Das Kunstphänomen dieser WM ist der verrückte Fanhelm. Alfred Baloyi entwickelte ihn aus skurrilem Township-Kopfschmuck

„Ich bin der Richter getauft worden, weil ich mit den Helmen ein Urteil über das spreche, was ich darstelle“

ALFRED BALOYI

AUS JOHANNESBURG MARTINA SCHWIKOWSKI

Sein Tag dreht sich um Fußball. Und dazu die Nacht. „Da träume ich mein Design.“ Morgens wacht Alfred Baloyi dann mit einer klaren Idee auf, die sich dann in einen Plastikhelm einbrennen lässt und in bunten Farben über die Schale zieht. Nicht jeden Tag. Aber fast immer. Zur Fußballweltmeisterschaft sogar immer öfter, denn die bei südafrikanischen Fans äußerst beliebte Makarapa, eine Kopfbedeckung mit Schnörkeln, Ausbuchtungen, Spieler- und Ballverzierungen und aberwitzigen Abzeichen, findet Liebhaber aus aller Welt.

Zur WM arbeitet Bayoli sogar auf Bestellung. Die angereisten Fans wollen ihre Ideen und Loyalitäten ausdrücken, wenn sie sich in den Stadien Südafrikas die Seele aus dem Leib brüllen und dazu die Vuvuzela trompeten. Die auf ihren Helmen residierenden Spieler in Knight-Form, englischen Landesfarben oder norwegischem Wikinger-Kostüm sind abgemalt von Designs, die die Kunden per E-Mail eingereicht haben. Das ist zwar nicht, was dem Erfinder der Makarapa am Herzen liegt, schließlich versteht er sich als Künstler. Aber es ist gut für das Geschäft.

In seiner Werkstatt in Primrose, einem Vorort von Johannesburg, glänzen die Augen des Mittfünfzigers. Die alte Bretterbude ist Teil einer der ärmsten und rückständigsten Hüttenansammlungen der Gegend. Bucklige Wege führen durch Schlaglöcher voller Dreck. Wasser gibt es nur an einigen Punkten im Hüttenmeer. An öffentlichen Hähnen stehen Pulks von Menschen mit Plastikkanistern an. Elektrizität gibt es nicht überall. Menschen aus ländlichen Umgebungen haben hier ihre Bleibe gezimmert, um in der Stadt Arbeit zu finden.

Anfang mit Pappgitarre

Baloyis kleine Hütte ist eine wahre Fundgrube. Schätze hängen an Nägeln und Drahtschlingen an den Holzwänden. „Das ist mein Museum“, grinst der Künstler stolz und nimmt eine aus Pappmaché zusammengebastelte Gitarre herunter, sein Lieblingsstück. Die Liebe zum Detail ist offensichtlich. Ein kleines Radio liegt in einem Fach in der Gitarre. Er fummelt an den Kabeln und lädt das Gerät mit einer Batterie auf. Die gelb-schwarze Gitarre ist überzogen mit „Kaizer Chiefs“-Emblemen, seine Lieblingsmannschaft aus Soweto. Am Griff hampelt eine große Fan-Puppe, wenn Alfred am Faden zieht. Dazu eine gigantische Maske mit angeschraubten Elementen, jederzeit wechselbar – je nach Fanlaune. „Als ich damit früher in den Stadien auftauchte, wusste jeder, wer ich bin.“ Er hat Spaß an seinem Wunderspielzeug, da ist er in seinem Element.

1979 kam Baloyi auf die Idee, sich im Fußballstadion mit einem Helm gegen Flaschen zu schützen, die im Eifer des Spiels schon mal durch die Luft auf den Rängen flogen. Ein Freund im Baugewerbe bot ihm einen Schutzhelm an. Alfred saß im Orlando-Stadion in Soweto und schrie für sein Team, die Kaizer Chiefs gegen Moroka Swallows. Er belebte den nüchternen Helm mit den Farben der Chiefs. So wurde die Makarapa geboren.

Aber die Hütte ist keineswegs nur mit Plastikhelmen voll, sondern es gibt komplexe dekorierte Stücke für jeden. Manche Helme haben einen Halter an jeder Seite – für die Bierdosen. Und eine Mini-Vuvuzela obendrauf: Ein Plastikschlauch führt zum Mund. Bekannt als „der Richter“, hat sich Baloyi einen Namen bei Fans und Verehrern geschaffen. Er hat Preise von Sponsoren gewonnen, die er auf seinen Hüten erwähnt, wenn er dort echte Spielszenen abbildet. „Ich bin der Richter getauft worden, weil ich mit den Helmen ein Urteil über das spreche, was ich darstelle, für einen gewissen Augenblick“, erklärt Baloyi. Seine Kreativität ist ihm wichtig. „Dabei bin ich lebendig, das ist Baloyi.“

Letzter Schliff

Mit der WM wurde aus Alfred Baloyis Townshipkunst plötzlich das internationale große Geschäft. Die Heimat der Makarapa ist heute nicht mehr die beschauliche Bretterbude von Primrose, sondern eine sterile Industriehalle in Wynberg, im Norden Johannesburgs. Vor drei Monaten, rechtzeitig zur Eröffnung der WM, ist Baloyi hier eingezogen. Der Innenraum ist kahl und kühl, draußen rauscht der Verkehr der nahen Autobahn. Auf großen Werkstatt-Tischen stapeln sich Helme in allen Regenbogenfarben. Sie gehen durch die Hände von 45 jungen Mitarbeitern. Jeder gibt dem jeweiligen Helm den letzten Schliff, abhängig von der Arbeitsphase.

Designs kommen per Filzstift auf Plastikschalen, wie sie normalerweise Polo-Spieler tragen. Früher waren es Helme aus der Bergbauindustrie, doch die sind zu hart. Brenner erhitzen das Plastik, damit es mit einem Messer in Form geschnitten werden kann. Nachdem es wieder abgekühlt ist, bemalen angelernte Künstler mit ruhigem Pinselstrich die aus der Helmmitte aufragenden Spielfiguren und geben ihnen ein originalgetreues Gesicht, abgemalt aus Kicker-Heften. Ballack, Beckham, südafrikanische Fußballhelden, je nach Fantasie geht alles. An den beiden Helmseiten stehen noch zwei Klappen ab, die Ballszene ist geschmückt mit Leoparden, Vuvuzelas oder anderen Symbolen.

Heute sitzt Sepp Blatter auf dem Kopf von Alfred Baloyi, der südafrikanische WM-2010-Slogan „Ke Nako“ – Es ist hier!“ ziert den aktuellen Helm des Township-Künstlers. Ein gelber Schal mit einer grünen Zahl 2010 in den Farben des Bafana-Bafana-Teams hängt um seinen Hals. Der große, ruhige Mittfünfziger schreitet durch die Halle, nimmt hier und da prüfend einen Helm hoch, gibt ein paar Tipps. Dann macht er Zigarettenpause. Eine ganz in Weiß gekleidete weiße Kundin von einer südafrikanischen Bank poliert inzwischen eine ganze Batterie von fertigen Helmen, eine Bestellung des Chefs. „Wir schenken sie unseren Kunden vor dem Fußballspiel“, erklärt sie. Eine Telefongesellschaft wollte Helme mit Zakumi, dem WM-Maskottchen – ein ganzer Tapeziertisch ist voller Helme, obendrauf der Leopard mit den grünen Haaren. Griechenland, Ghana, Deutschland, Argentinien, jedes WM-Land ist in origineller Makarapa-Form vertreten.

Alfred Baloyis Truppe schafft etwa hundert Makarapas am Tag. Sie gehen weg zum stolzen Preis zwischen 25 und 45 Euro. Und nach der WM? Er hofft, dass internationale Geschäft blüht und der Absatz des original-südafrikanischen Fan-Utensils auch jenseits der Grenzen anhält. Das ist zumindest das Marketingprinzip, für das sein Partner Grant Nicholls mit seiner Sport-Marketing-Firma einsteht. Baloyi arbeitet seit rund acht Jahren mit dem weißen Südafrikaner zusammen. Nicholls hat die Makarapa als „Baloyis authentische Makarapas“ vermarktet, eine Webseite und den Verkaufsshop neben der Werkshalle eingerichtet. Ein Mitarbeiter „vermarktet“ Alfred und regelt Nachfragen von Presse und Kunden.

Natürlich haben inzwischen auch Straßenhändler Gefallen an der Makarapa gefunden, aber sie gleichen nicht dem Baloyi-Design, sondern sind eher lieblose Nachahmungen. Und zur WM zieren Makarapas in fast allen Geschäften die Schaufensterauslagen.

„Die Makarapa wird überall kopiert, auch im Ausland“, meint Grant Nicholls. „Wir brauchen einen Investor, denn das Ganze ist keine Bargeldangelegenheit.“ Oft müsste man lange auf Zahlungen warten. Nicholls zahlt Alfred von umgerechnet 1.000 Euro im Monat und einige Prozent.

Marke ohne Schutz

Im Moment schlägt sich Nicholls mit Anwälten herum, denn die Firma besitzt nicht die Handelsmarke Makarapa. Das Wort stammt umgangssprachlich aus „uMakalabha“ in Zulu und bedeutet „harter Helm“. „Aber wir wollen den Namen Baloyi Makarapa registrieren lassen“, erklärt Nicholls. „Und ihn als Inventor und als Markenzeichen mehr herausbringen.“ Ein Kunde aus Argentinien will 2014 bei der WM in Brasilien ein Makarapa-Geschäft aufziehen – dagegen wollen sich die Südafrikaner rechtlich absichern. Die dänische Regierung gibt möglicherweise Makarapas in Auftrag, auch Russland.

Alfred Baloyi arbeitete früher in einem Workshop in Johannesburgs Downtown mit einem dritten Partner zusammen, Paul Wygers. Aber von ihm hat er sich verabschiedet: „Einige Leute wollen schlau sein, aber das hat nichts mehr mit mir zu tun dort.“ Wygers macht trotzdem weiter. Er hat jetzt eine eigene Makarapa-Werkstatt, modernisiert, vergrößert und automatisiert. In nur zwei Minuten schneidet ein Roboter in dem Atelier in der Innenstadt ein Design aus. Mehr Stückzahlen bedeuten mehr Profit. Wygers stellt mehr als 300 Makarapas pro Tag her.

Aber sie sind eben nicht handgefertigt, wie die Originalware von Baloyi. „Das ist es, was meine Arbeit ausmacht“, sagt Alfred Baloyi stolz. Er träumt nun davon, einer Handvoll von jungen Künstlern die Umsetzung seiner Design-Ideen zu vermitteln, im Baloyi-Stil, und das Geschäft selbst in seinem Namen laufen zu lassen.

Das wird schwierig. Alfred Baloyi hat keine Schuldbildung und er kann nicht lesen. Doch seiner Popularität ist sich der Künstler bewusst. Er bekomme finanziell nicht, was ihm zustehe als Erfinder des einstigen Township-Fußballhutes, klagt er. „Ich will was Eigenes. Makarapas herstellen ist nicht wie Fußball. Für den Sport sind Spieler schnell zu alt. Aber ich kann auch im Alter noch schöpferisch wirken.“