LESERINNENBRIEFE :
Real oder nur gefühlt?
■ betr.: „Wunschträume sind verheerend“, taz vom 6. 1. 14
Da greift Tiefenpsychologe Grünewald aber ziemlich daneben. Eigentlich fragt seine Zunft bei der Angstanalyse aus gutem Grund zuerst immer danach, ob die Ängste real oder nur „gefühlt“ sind. Und wenn es zutrifft, dass „viele Menschen das Gefühl haben, die Kultur des ‚Höher, schneller, weiter’ sei an ein Ende gekommen“, und „was kommen könnte, ist unklar“, dann hätten diese Menschen eine vollkommen realistische Sicht auf die Zukunft.
Seit 1972 der Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“ mit einer umfassenden Studie ins Bewusstsein der Zeitgenossen heben wollte, wurde dieses Thema allseits erfolgreich verdrängt, und die Welt näherte sich zügig diesen Grenzen. Die wachsende Ressourcenknappheit, die ja nicht nur den auch noch durch den drohenden Klimawandel in Misskredit geratenen Energieverbrauch betrifft, findet keinerlei Niederschlag in unserem industriegesellschaftlichen Lebensstil. Man versucht mit zweifelhaften Methoden wie Fracking, diesen Lebensstil zu erhalten, was auf einem endlichen Planeten nicht auf Dauer gelingen kann. Welche Wissenschaftler, Politiker, Journalisten befassen sich überhaupt mit den gewaltigen Herausforderungen des Post-Wachstums? Der Mainstream drückt sich. Gerade mal ein gutes Dutzend aktuelle Bücher findet man im deutschsprachigen Raum. Autoren wie der Deutsche Nico Paech, der Brite Tim Jackson, der Norweger Jørgen Randers (Mitautor der Studie von 1972) sind, mit unterschiedlich drastischer Diktion, erst einmal dabei, der Weltöffentlichkeit die Dramatik der Situation begreiflich zu machen.
Wird an Lösungen gearbeitet? Überlegen die Wirtschaftswissenschaftler, wie eine Ökonomie ohne Wachstum, mit Décroissance funktionieren könnte? Den Nobelpreis haben just drei Herren für ihre Bemühungen erhalten, den Verlauf von Aktienkursen besser prognostizieren zu können. Das sagt alles.
Die zunehmende Ressourcenknappheit wird sich in allen möglichen Bereichen auswirken. Eine entmechanisierte Landwirtschaft zum Beispiel, die für die Lebensmittelproduktion vielleicht die 10- oder gar 15-fache Manpower von heute benötigt, könnte auch in den (fehl)entwickelten Ländern den Hunger zurückkehren lassen. Der Mangel wird, im Inland und weltweit, höchst konfliktträchtig sein. Harald Welzer wird, nach seinem Buch „Klimakriege“, ohne Mühe Stoff für ein Werk „Ressourcenkriege“ finden. Die Aufgabe ist zu komplex, als dass sie allein in den lokalen Initiativen, die es sehr wohl gibt, in engagierten Arbeitsgruppen (zum Beispiel von attac) oder in einigen fortschrittlichen Institutionen isoliert und unkoordiniert bewältigt werden könnte. Es werden, neben einer ganz wachen, antreibenden Öffentlichkeit, alle Spezialisten benötigt: Ökonomen, Naturwissenschaftler, Sozialwissenschaftler, Friedensforscher, auch Philosophen; Politiker allemal – auch die von ganz oben. Und mit Sicherheit auch Psychologen. Aber nur solche, die reale von geträumten Gefahren unterscheiden können. ROLF OESTERLEIN, Nieder-Olm
Mehrheit prägt
■ betr.: „Wunschträume sind verheerend“, taz vom 6. 1. 14
Es gibt Studien, die einen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Protestkultur einer Gesellschaft und der Bevölkerungspyramide nahelegen. Selbst Kriege, Bürgerkriege, größere, gewaltsame Unruhen, also die Extremfälle, sind in Ländern mit hoher Geburtenrate im Schnitt deutlich häufiger als in Ländern mit einer eher alternden Gesellschaft. 60-Jährige ziehen nicht mehr in den Krieg und zetteln auch selten gesellschaftliche Umbrüche an. Je höher der Anteil einzelner Bevölkerungsgruppen in einer Gesellschaft ist, desto stärker ist, wenn auch indirekt, deren Einfluss auf das Geschehen und die Entwicklung einer Gesellschaft. Gesellschaftliche Minderheiten sind im allgemeinen eher dem Zwang der, wenn auch zuweilen murrenden, Anpassung an die bestehenden Verhältnisse unterworfen, welche durch die Mehrheit geprägt sind.
In kaum einer Altersgruppe prallen Träume, idealistische Vorstellungen von der Welt und dem Leben radikaler und gefühlt schmerzhafter mit der Wirklichkeit aufeinander als in der Zeit der Jugend. Während die Jugend eher den Drang hat, die Verhältnisse im Sinne ihrer Träume und Wunschvorstellungen zu verändern, neigt der Mensch mit zunehmendem Alter eher dazu, im Zweifelsfall die Sicherheit des Status quo zu bevorzugen. Angela Merkel ist nicht nur bezüglich ihres Alters ein Symbol dieser Entwicklung.
Deshalb ist es auch kein Zufall, wenn die Verhältnisse in den geburtenstarken Ländern des Nahen Ostens, Nordafrikas, usw. so sind wie sie sind. Deshalb war es auch kein Zufall, dass der berühmte Deutsche Herbst in ein Jahr wie 1977 fiel und die deutlichste Protestkultur in Deutschland in Zeiten war, als die geburtenstärksten Jahrgänge Westdeutschlands Jugendliche waren. EWALD BECK, Bad Homburg
Der Tod ist Teil des Lebens
■ betr.: „Wie dürfen wir sterben?“, taz vom 7. 1. 14
Die hier vorgebrachten Argumente der Unionspolitiker und der Ärztevertreter zeigen unschöne Aspekte einer konservativen politischen Einstellung: Nur weil etwas in ihrer Welt nicht wünschenswert erscheint, wollen sie es allen anderen verbieten. Bisher von den Gegnern vorgebrachte „Argumente“ laufen auf persönliche Abneigung hinaus. Dies muss wohl auch ein Eugen Brysch gestehen, wenn er auf der einen Seite das „Recht auf Selbstbestimmung“ anerkennt, auf der anderen aber einen entscheidenden Teil der selbigen eben nicht. Schließlich ist auch der Tod Teil des Lebens. Deshalb will ich die Entscheidung über mein Ende, ob natürlich oder forciert, lieber mit meinem Umfeld und an meine Situation angepasst treffen, als es vom Gesundheitsminister vorgeschrieben zu bekommen.
BERNHARD HERMANNSEDER, Aldersbach