„Das Bad hat eine wichtige soziale Funktion“

Für die Bewohner des Kiezes Lehrter Straße war die Schließung des Freibads 2002 ein Skandal, meint Stefan Fürstenau von der Kulturfabrik. Er plädiert für „Pro Sommerbad“ und ruft auf, sich bei der Bahnhofsentwicklung einzumischen

taz: Herr Fürstenau, mit einem Bürgerbegehren plant die Initiative „Pro Sommerbad Poststadion“, dass das seit 2002 geschlossene Freibad wieder geöffnet wird. Wie hat sich die Schließung damals auf den Kiez ausgewirkt?

Stefan Fürstenau: Es war ein Skandal, weil für die Anwohner der Lehrter Straße und die der unmittelbaren Umgebung eine wichtige Form der Freizeitgestaltung weggebrochen ist. Außerdem leben hier im Kiez viele Menschen mit wenig Geld und entsprechend geringeren Möglichkeiten. Die Schließung des Bades hatte für sie dramatische Auswirkungen, weil die soziale Funktion des Bades eine wichtige Rolle spielte.

Welche Chancen geben Sie der Wiedereröffnung des Freibads?

Der Bezirk hat die Absicht signalisiert, die Mittel aus dem möglichen Verkauf des Geländes an der Chausseestraße für den Bundesnachrichtendienst für die Badsanierung bereitzustellen. Trotzdem bleibt es wichtig, dass die Initiative durch eine eindeutige Willensbekundung der Bürger zum Ausdruck kommt. Denn politische Absichtserklärungen können angesichts schlechter Haushaltslagen ja schnell gekippt werden.

Welche Ausstrahlung brächte das Bad für die Kulturfabrik, den Kiez und den Bezirk, der viele soziale und wirtschaftliche Probleme hat?

Wir haben in der Kulturfabrik auch ein pädagogisches Team. Diese fünf Mitarbeiter gehen auf Spielplätze und bieten für Kinder zwischen sechs und dreizehn Jahren Betreuung an. Ein Schwimmbad wäre extrem wichtig dort für Angebote im Bereich Sport und für die Freizeitgestaltung der Kids. Denen fehlt ja das Geld, woandershin zu fahren.

Woran mangelt es aus Ihrer Sicht noch im Kiez Lehrter Straße?

Es fehlt zum einen die Sicherung der Kulturfabrik Moabit für die Zukunft. Die Gelder für Sanierung müssen investiert werden. Zum anderen ist die Lage für die Lehrter Straße insgesamt etwas unübersichtlich geworden durch die Landung des Raumschiffs Hauptbahnhof. Welche Auswirkungen der Bahnhof haben wird, müssen wir uns genau anschauen. Es besteht die Gefahr einer Umstrukturierung.

Was genau verändert sich durch den Bahnhof?

Konkrete Planungen liegen noch nicht auf dem Tisch. Aber es gibt Diskussionen und Ansätze zur Gestaltung der Bereiche nördlich des Hauptbahnhofs. Dazu gehört etwa, dass dort hochwertiges Wohnen und Gewerbe entstehen sollen. Wir haben Sorge, dass ein Prozess der Verdrängung in Gang gesetzt wird. Wenn man heute etwa die ruhige Lehrter Straße hinunter zur Invalidenstraße geht, bricht am Bahnhof plötzlich die Hauptstadt aus mit dem Verkehr und den Läden. Da ist Schluss mit der kleinen Idylle.

Worauf muss bei der städtebaulichen Entwicklung der Brachflächen, die kommen wird, geachtet werden?

Es müssen politische Rahmenbedingungen verabredet und beschlossen werden, damit es nicht zu einer Juppiesierung des Kiezes kommt und keine Verdrängung der ansässigen Bevölkerung stattfindet. Es sollte ein Bestandsschutz für das Areal sichergestellt werden. Es ist extrem spannend, wie sich das entwickeln wird. Auf jeden Fall sollte eine effiziente Bürgerbeteiligung stattfinden …

was ja beim Schwimmbad gewissermaßen geprobt wird. Wie bringt sich die Kulturfabrik selbst da ein?

Es scheint vielleicht, dass wir hier das idyllische Dorf inmitten des Wandels sind. Aber wir werden uns natürlich engagieren und in den Prozess der Veränderung mit einbringen. Es führt gar kein Weg daran vorbei, sich mit bürgerlichem Engagement einzumischen. INTERVIEW: ROLA