Der Sturz des Großinquisitors

JUSTIZ Jahrelang ging Zerekiya Öz im Dienst der islamischen AKP gegen Kritiker der Regierung und Militärs vor. Als er gegen Vertraute von Premier Erdogan ermittelte, wendete sich das Blatt

ISTANBUL taz | Vor zwei Tagen hat die regierungsnahe türkische Zeitung Sabah für einen Eklat gesorgt: Sie veröffentlichte Abrechnungen und Quittungen von der Luxusreise eines Mannes, der lange als Großinquisitor der regierenden AKP-Partei galt: Zekeriya Öz. Der soll mitsamt Familie für 40.000 Dollar ein verlängertes Wochenende in einer Prinzensuite in Dubai verbracht haben. Bezahlt hat den Dubai-Trip nach eigenen Angaben ein AKP-naher Baumogul, Ali Agaoglu. Obwohl Öz dies bestreitet, wurde er umgehend versetzt. Er darf jetzt Dienst als stellvertretender Staatsanwalt im Istanbuler Bezirk Bakirköy schieben.

Damit wendete sich das Schicksal eines Mannes, dessen Namen zu nennen unter Kemalisten – aber auch unabhängigen Linken – jahrelang für eine Gänsehaut gesorgt hatte. Seit die Regierung von Ministerpräsident Erdogan nach ihrem Wahlsieg 2007 beschlossen hatte, mithilfe der Justiz das Militär zu entmachten, machte sich Zekeriya Öz als Hardliner im Dienst der islamischen AKP gegen ihre säkularen Gegner verdient: Der heute 45-jährige Jurist leitete in allen wichtigen Prozessen gegen die Militärs die Ermittlungen. Mit Sonderkompetenzen ausgestattet sorgte er dafür, dass Anklagen geheim blieben, Beschuldigte jahrelang in U-Haft saßen. Letztlich wanderten Hunderte Offiziere, kemalistische Bürokraten und den Militärs nahestehende Geschäftsleute und Journalisten in den Knast.

Jahrelang konnte er nach Belieben schalten und walten. Das erlebte der linke Journalist Ahmet Sik am eigenen Leibe: Sik, der es gewagt hatte, in einem Buch die Unterwanderung der Polizei durch die islamische Gülen-Bewegung aufzudecken, saß ein Jahr in U-Haft – ohne zu erfahren, was ihm konkret vorgeworfen wurde. Während seines Termins beim Haftrichter tauchte Zekeriya Öz auf, wie der Journalist später berichtete. Öz habe dem Richter einen Zettel gereicht. Daraufhin war der Termin vorbei, und Sik wanderte ins Gefängnis. Dabei war Öz der beste Beweis für die Thesen von Ahmet Sik. Das Material für die Verfahren, die Öz gegen das Militär und andere anstrengte, kam überwiegend aus dem Gülen-Netzwerk in Polizei und Justiz.

Abgehörte Telefonate, kompromittierende Fotos, bearbeitete Festplatten – viele Kritiker warfen Öz vor, Beweise zu manipulieren. Doch erst seitdem er gegen Vertraute von Erdogan ermittelt, wurde er plötzlich zum Buhmann. Jetzt wird ihm mit gleicher Münze zurückgezahlt.

JÜRGEN GOTTSCHLICH