: Patrioten verwirren Rechte
Neonazis streiten darüber, ob sie bei der großen Deutschlandparty mitmachen sollen. Die einen frohlocken über so viel Nationalstolz. Die anderen wettern gegen Feiertags- und Pseudopatrioten
AUS BERLIN PETER NOWAK
Nicht wenige zählen schon die Tage, bis die WM vorbei ist, die Deutschlandfahnen wieder eingerollt und schwarz-rot-goldene Farben von den Gesichtern abgewaschen werden.
Die sächsische Landtagsabgeordnete der Linkspartei, Julia Bonk, handelte sich heftige Schelte von ihrer eigenen Partei ein, als sie sich kritisch über die Deutschlandfahne äußerte und vorschlug, diese durch Antifa-T-Shirts zu tauschen. Ähnlich ging es hessischen Mitgliedern der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die eine Broschüre wieder auflegten, die sich kritisch mit dem Deutschlandlied befasste. Nach wütenden Reaktionen ruderten die Gewerkschafter zurück und der GEW-Vorsitzende entschuldigte sich bei der Fußballnation. Doch es sind nicht nur linke Nationalismuskritiker, sondern auch bekennende Rechte, die vom neuen deutschen Patriotismus die Nase voll haben.
Das mag auf den ersten Blick erstaunen. Müssten sich Rechte nicht wohl fühlen, wo deutsche Fahnen wehen? Für den ehemaligen NPD-Cheftheoretiker Jürgen Schwab, der sich mittlerweile mit seiner Partei überworfen hat, scheint die Antwort klar: Im rechten Störtebecker-Netz bricht er eine Lanze für die jungen „Fußballpatrioten“. „Ich habe noch nie so viele und vor allem so viele junge deutsche Patrioten auf einem Haufen gesehen. Zeitgeschichte und somit deutscher Schuldkult interessiert diese Leute nicht.“
Schwab gibt dann auch gleich den Berater für rechtes Marketing, wenn er der NPD und anderen nationalen Gruppen empfiehlt, „bei Demos noch mehr als bisher das Mitbringen der schwarz-rot-goldenen Fahne zu fördern“. Das brachte wiederum den bekennenden Nationalsozialisten Axel Reitz aus Köln auf die Palme. Anders als Schwab sieht er sich nicht von Fußballpatrioten, sondern von Fußballidioten umringt. „Überall keimt die schwarz-rot-goldene Sumpfblüte des Patriotismus auf, gedeiht im Morast der bundesrepublikanischen Gesellschaft und durchseucht langsam sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens.“
Die beiden Texte haben einen heftigen Schlagabtausch in den rechten Internetforen ausgelöst. Während sich Schwab und seine Unterstützer als Realpolitiker präsentieren, die den Fußballpatriotismus für ihre Zwecke nutzen wollen, gebärden sich die Reitz-Anhänger als nationale Fundamentalisten. Das fängt schon bei der richtigen Farbenlehre an – nur schwarz-weiß-rote Fahnen kommen in Frage.
Thomas Brehl, ein alter Reitz-Kumpan aus alten Wehrsportgruppentagen, beschied Schwab kurz und knapp: „Das Reich hieß nur einmal ‚Großdeutschland‘, und da war die Fahne schwarz-weiß-rot.“ Ein weiterer Reitz-Anhänger schreibt unter dem Pseudonym „Doc Savage“ seinen Frust ins Internet: „Mich kotzen die Pseudopatrioten auch an. Man riskiert Leben und Freiheit für die Nation und dann kommen Feiertags- und BRD-Patrioten aus den Löchern.“
Auch Menschen türkischer oder afrikanischer Herkunft mit Deutschlandfahnen bringen manchen völkischen Beobachter in Rage. „Können Sie mir erklären, was die verdummende kommerzielle Multi-Kulti-Schau Fußball-WM 2006 mit Sportsgeist zu tun hat“, fragt ein Anonymus im Internet. Der Chef der rechten Deutschen Volksunion, Gerhard Frey, hingegen hat sein Herz für „Neger“ entdeckt, zumindest wenn sie im deutschen Team spielen. In der aktuellen Ausgabe seiner Deutschen Nationalzeitung begründet er seine Bedenken, „gegen mehr oder weniger dunkelhäutige Spieler zu agitieren, um allzu engherzige politische Botschaften zu transportieren“. Damit distanziert er sich von der Kampagne seines Bündnispartners NPD, die sich im Vorfeld der WM auf Spieler afrikanischer Herkunft eingeschossen hatte.
Dieses Zerwürfnis dürfte das fragile Zweckbündnis zwischen den beiden größten rechtsextremen Parteien DVU und NPD nicht gerade stabilisieren. Schon wird in rechten Kreisen befürchtet, dass in der Auseinandersetzung zu viel Porzellan zerschlagen wird. Erste Appelle zur Mäßigung zirkulieren in den rechten Diskussionsforen. So mahnt ein Autor: „Es ist doch nur Sport! Nur noch ein paar Tage und wir sind dann wieder voll bei der Sache.“