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Archiv-Artikel

Nur Weiße und Junge erwünscht

„Wir sortieren die Menschen in Altersschubladen. Da kommen sie nicht raus“

Die Mitarbeiterin des Pflegedienstes ist nicht so bewandert in afrikanischer Geografie. „Wo liegt denn Guinea?“, fragt sie am Telefon den Bewerber um eine Stelle bei der Berliner Pflegefirma Renafan. „Guinea liegt zwischen Mali und der Elfenbeinküste“, klärt Alsény Touré sie auf. Da zögert die Dame: „Ja, sind Sie denn ein Farbiger?“ – „Ja, natürlich.“ – „Oh, dann können wir Sie nicht einstellen“. So erzählt es Alsény Touré.

Darf ein Pflegedienst das einfach so? Schwarze ablehnen, weil sie schwarz sind? Oder ist das nicht ein Fall, den das neue Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das heute verabschiedet werden soll, verhindern will? Es verbietet „Einstellungsbedingungen für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit“, die unter anderem eine „Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft“ darstellen.

Per Fax hatte Herr Touré seine Bewerbung an den großen Berliner Pflegedienst geschickt, mit Lebenslauf. Geboren 1963 in Guinea, ein Studium der Soziologie in der Hauptstadt Conakry abgeschlossen, eine Deutsche geheiratet, zwei Kinder erzogen. Dann macht er eine Ausbildung zum Pflegehelfer – und bewirbt sich auf offene Stellen im Internet, auch bei Renafan. Die Mitarbeiterin habe schon einen Vorstellungstermin ausmachen wollen. Dann sei ihr die Frage nach der Hautfarbe eingefallen.

„Wie bitte?“, habe ich gefragt, erinnert sich Herr Touré und ist jetzt noch verblüfft. „Der Job steht für Dunkelhäutige nicht zur Verfügung“, habe die Dame erläutert, als handle es sich um eine Routineauskunft. Der Soziologe mit Pflegediplom wird nun richtig wütend: „Ich bin nicht schwarz im Kopf, nur auf der Haut“, habe er der Mitarbeiterin zu verstehen gegeben, erzählt er. Aber diese musste das Gespräch nun leider beenden.

„Ich habe schon vieles erlebt, aber so direkt hat mir das noch niemand ins Gesicht gesagt.“ Herr Touré, eigentlich ein lockerer Typ, der früher Musik gemacht hat und zur WM ein tschechisches Trikot trägt („Weil die Afrikaner ja leider sowieso rausfliegen“), ist jetzt noch tief getroffen. Sonst sagten die Dienste so etwas wie „Schon vergeben“ oder „Wir nehmen für diese Stelle nur Frauen“. – „Aber das hat mich so wütend gemacht. Ich kann nichts dafür, dass ich hinter dieser Hautfarbe stecke!“

Der Pflegedienst jedoch bleibt dabei: Für diese spezielle Stelle könne man Herrn Touré nicht einstellen, schreibt er an das Antidiskriminierungsbüro Berlin, an das Touré sich gewandt hat, „weil die zu pflegende Dame den Einsatz von männlichen farbigen Pflegern ablehnt“. Zum Credo des Pflegedienstes gehöre, „dass wir auf die besonderen Wünsche unserer Patienten eingehen“, erklärt Renafan, „einige geben uns eine Altersgrenze oder auch Körpermaße vor“, wird präzisiert.

„Da kann man jetzt überhaupt nichts machen“, sagt Reza Rassouli vom Antidiskriminierungsbüro. Mit dem AGG aber könnte Alsény Touré gegen den Pflegedienst klagen, weil er wegen seiner Rasse diskriminiert wird. So schätzt es auch Günter Dworek ein, Referent für Gesellschaftspolitik der Grünen im Bundestag.

Der Pflegedienst allerdings hat seine Argumentation inzwischen verfeinert: Herr Touré habe im Telefonat kundgetan, „dass eine zu pflegende Person so dankbar sei, dass ihr egal sei, wer sie pflege. Leider trifft das nicht zu. Die meisten unserer Patienten sind zwar alt, aber immer noch mündig“, erklärt Renafan schriftlich gegenüber dem Antidiskriminierungsbüro. „Da Herr Touré seine Einstellung aber bereits am Telefon gegenüber unserer Mitarbeiterin kundtat, kam er schon aus diesem Grund für unser Unternehmen nicht in Frage.“

Ob der Dienst mit dieser Argumentation vor Gericht durchkäme, ist für Dworek fraglich. „Das könnte als nachgeschobene Begründung gewertet werden“, gibt er zu bedenken. Alsény Touré könnte in Zukunft seiner Ansicht nach eine Entschädigung einklagen. Doch das Risiko, auf den Prozesskosten für diesen Schritt in juristisches Neuland sitzen zu bleiben, ist hoch.

Der Pflegedienst Renafan hat sich inzwischen mehrmals dafür entschuldigt, „dass Herr Touré den Eindruck gewonnen hat, dass wir Ausländer prinzipiell ablehnen. Dies entspricht keinesfalls der Realität, da wir viele Mitarbeiter aller Nationalitäten beschäftigen“, schreibt das Unternehmen an Touré. Gegenüber der taz wollte Renafan sich zunächst nicht noch einmal äußern.

Für Alsény Touré kommt das AGG ohnehin zu spät. Aber die Mitarbeiter von Renafan werden in Zukunft sicher genauer bedenken, was sie ihren Bewerbern sagen. HEIDE OESTREICH

Ein fantastisches Gespräch. Welch verrückte Ideen. Was für witzige Entwürfe. Begeistert blättern die Geschäftsführer des Berliner Postkartenanbieters, zwei aufgekratzte Mittzwanziger, die Mappe der Bewerberin durch. Zweieinhalb Stunden gleicht das Gespräch einem atemlosen Pingpongspiel Gleichgesinnter. Die Erwartungen sind formuliert, die Aufgaben abgesteckt, der Preis ist geklärt. Ach ja, wie alt sind Sie eigentlich? 45. Ljuba Podgorny wird diesen Moment nie vergessen: „Es war, als wäre ein Eisbrocken ins Zimmer gefallen. „Vielen Dank. Wir melden uns.

Alter? Alt werden? Alt sein? Das ist eine Kategorie, mit der sich Ljuba Podgorny nie beschäftigt hat. Bis sie sich erstmals in ihrem Leben bewirbt. Anfang der 90er-Jahre wird die Grafikerin arbeitslos. Nach einer Computerweiterbildung vom Arbeitsamt verschickt sie, wie ihre jüngeren Kollegen, ungezählte Bewerbungen. Sie ist die Einzige, die nur Absagen bekommt. „Das war ein Schock.“ Denn da steht plötzlich vor ihr, mit großen Lettern: „Du bist zu alt.“ Gefangen im Käfig der Lebenszeit.

Undenkbar für eine, die das Leben als endlose Entdeckungsreise versteht. Die nach ihrer Grafikausbildung in München Ende der 60er immer wieder Neues erkundet. Viereinhalb Jahre zieht sie nach Indien mit Mann und Kindern, unterrichtet Grafik an Goethe-Instituten in Afghanistan, im Iran, in Pakistan. Später geht sie nach Hawaii, stellt Papier her, baut eine Rückenschule auf. In Berlin entwirft sie Beschriftungen für Gartenschläuche und Layouts für einen Filmverleih, stemmt Projekte für Nachwuchskünstler und malt Buchstabenbilder auf Bettwäsche. Zu Jüngeren sagt Ljuba Podgorny nicht, ich bin älter als du, sondern: Ich bin halt etwas länger da. „Es ist doch Wahnsinn, dass man irgendwann nicht mehr mittun darf.“

Irgendwann rät ihr eine befreundete Personalerin: „Lass um Gottes willen dein Alter raus. Schick nur deinen Werdegang, ohne Geburtsdatum und Schule.“ Seitdem wird Podgorny ab und zu eingeladen. Doch immer ist es dasselbe Spiel: Tolles Gespräch, konkrete Pläne. Irgendwann die Frage nach dem Lebenslauf. Der Blick auf das Geburtsjahr. „Danke. Rufen Sie uns nicht an. Wir rufen Sie an.“ Schluss. Wie damals.

Der morgendliche Blick in die Stellenanzeigen und das Eintüten der Bewerbungen werden „alltäglich wie Zähneputzen“. Als einer nach 296 Bewerbungen Ljuba Podgorny fragt: „Wann können Sie anfangen?“, kann sie es kaum glauben. Zwei Jahre lang gestaltet sie Fahnen für eine Stoffdruckerei. Endlich spielt das Alter keine Rolle. Die Chefs sind offen. Ihre Qualifikation als Computergrafikerin verleiht ihr eine Sonderstellung im Betrieb.

Ein leichter Sommerwind spielt mit den luftigen Bahnen der Vorhänge. Ljuba Podgornys Kunststoffohrringe mit dem leuchtenden Schriftzug „Nein“ schaukeln an ihren Ohren. Nein, wie 58 wirkt sie wahrlich nicht, diese Frau, die einen offen aus hellgrauen Augen anschaut, die mit schneeweißen Zähnen strahlend lächelt. Als sie sich wieder selbstständig machte, hatte das Alter sie rasch wieder in den Klauen. Natürlich, nicht immer ist es das Alter allein, das die Tür zum Arbeitsmarkt versperrt. Manchmal heißt es auch schlicht: überqualifiziert, zu teuer. Und nicht oft hört sie direkt: Sie sind zu alt.

Doch was sonst geht im Kopf von Kunden vor, die längst erteilte Onlineaufträge nach einem Treffen stornieren? Was sonst bremst Interessenten, die im ersten Meeting haspeln: „Oh, wir dachten, Sie seien viel jünger.“ Und sich nie wieder melden? Manche freilich machen keinen Hehl daraus. Wie jene Agenturbosse, die hinter Podgornys Rücken raunten: „Wenn wir so eine Alte hinter unsere Computer setzen, vergraulen wir doch die Kunden.“ Und wenn die Grafikerin mal wieder hört, dass der Chef eines westdeutschen Unternehmens gedroht habe: „Entweder alle über 50 in der Abteilung gehen freiwillig, oder die Hälfte der Jüngeren wird zusätzlich entlassen.“ Dann weiß sie: Die Bilder vom Alter in der Gesellschaft sind so verhakt, dass ein Antidiskriminierungsgesetz es kaum ändern wird: „Wir sortieren die Menschen in Altersschubladen. Da kommen sie nicht mehr raus, so hungrig aufs Leben, so voll mit Wissen sie auch sein mögen.“

Erst recht, wenn sie 58 sind. „Wieso wollen Sie denn arbeiten?“, fragte jüngst eine Sachbearbeiterin vom Jobcenter. „Nächsten Monat werden sie 58, da können Sie doch einen Rentenantrag stellen.“ Ljuba Podgorny wollte es trotzdem. Mit Erfolg. Seit vier Wochen entwickelt sie mit anderen Menschen über 50 eine Zeitung für Migranten. Freiwillig, mit viel Spaß. Und für nur 1,50 Euro die Stunde. ANJA DILK