: Die Kunst zu kontern
Die Ausstellung „Ball of Fame“ im ehemaligen Umspannwerk in Prenzlauer Berg zerlegt die Mythen und Symbole des Fußballs, bis selbst der kleinste Fan-Artikel zum gewitzten Formexperiment wird
VON OLIVER KOERNER VON GUSTORF
„Wo ist eigentlich Goleo?“ Die Frage, die Radio Eins vor kurzem gestellt hat, ist etwas scheinheilig. Denn so mancher wünschte sich, die Bayern hätten nicht den Bären Bruno, sondern die ungeliebten WM-Maskottchen zum Abschuss freigegeben: Was soll man schon mit einem dumpfbackigen Löwen und dem sprechenden Ball „Pille“ anfangen? In ein Kunstwerk verwandelt, werden die präparierten Überreste der beiden Fan-Artikel jetzt im Umspannwerk Kopenhagener Straße gezeigt, mitten in der Ausstellung „Ball of Fame“.
Zwischen den Arbeiten von 29 anderen internationalen Künstlern sieht das lebensgroße, „Maskott“ betitelte Filzkostüm der in London arbeitenden Künstlerin Anne Marr aus wie all die superlustigen Geschöpfe, die Volksfeste und Sportstadien bevölkern – Brote mit Beinen, fette Bienen und Hasen, wabbelnde Kaffeekannen. Aber diese Schöpfung entstand aus einem Massaker: Marr hat sämtliche WM-Maskottchen der letzten Jahrzehnte gehäutet und aus ihren fröhlichen Farben und Grundformen ein monströses Mischwesen zusammengebaut.
Das bizarre Geschöpf steht programmatisch für die selbst organisierte Ausstellung rund um den Ball. Gerade jetzt, wo populistische, dokumentarische oder auch mal politisch-kritische Schauen zur Fußballkultur die Republik überfluten, geht „Ball of Fame“ einen anderen Weg: Die Freude an Spiel und Strategie, die Fankultur, die Mythen und Symbole des Sports bilden nur den künstlerischen Rohstoff, der von den Teilnehmern für formale Experimente genutzt wird. Es wird gesampelt, collagiert und dekonstruiert, was das Zeug hält. Die Fußballwelt hält her als Matrix, die zerlegt, gefaltet, untersucht und wieder neu zusammengesetzt wird.
Der Ball ist ein Globus und aufgefaltet ergibt er eine Weltkarte – zumindest in der Serie „Mappa Mundi“ von Thomas Westphal. Der in Helsinki lebende Künstler hat alle nur erdenklichen Sportbälle auseinander genommen und präsentiert sie in Glaskästen wie archäologische Relikte. Wie das Material dem Denken die Form vorgibt, untersucht auch „Gate C“, das gigantische, von der Decke der Halle baumelnde Netz, das die Niederländerin Esmé Valk aus hunderten von Trikots geflochten hat.
Ganz bewusst hat die Initiatorin Lara Breckenfeld illustrierende Fußball-Hommagen gemieden und die Mitwirkenden gebeten, sich auf Konzepte und Installationen zu konzentrieren. Obwohl Arbeiten wie an der Decke schwebende Pappmascheebälle oder mit Glöckchen bestickte Hockeytore wie bemühte Basteleien wirken, funktioniert „Ball of Fame“ bestens – gerade wenn Witz im Spiel ist. So etwa bei der britischen Künstlerin Kate Woodiwiss, die auf ihrer coolen Diagramm-Malerei Dadaisten gegen Konzeptionalisten antreten lässt, oder bei der niederländischen Künstlergruppe Bambi, die auf ihrem Video das altertümliche „Pong“ in menschlicher Formation nachspielt.
Einen klaren Heimvorteil bietet auch die kathedralenartige Industriearchitektur des ehemaligen Umspannwerks. Durch die glasüberdachte Schalterhalle führt der Weg zu Corinna Korths vier Meter hohem illuminiertem Kirchenfenster, auf dem sich geheimnisvolle Szenen wie ein Mosaik zusammenfügen. Fußballmannschaften aus Wolfs- und Hirschkreaturen kämpfen gegeneinander und werden dabei von St.-Pauli-Fans angebetet. Für ihre „carnivoren Mischwesen“ in Installationen und Videos entwickelt die Künstlerin seit Jahren eine eigene Mythologie, in der es um Jagdtaktiken, Rudelverhalten und das Überleben von Außenseitern in der zivilisierten Welt geht. „Brüderlichkeit herrscht / unter den Wölfen: / sie gehen in Rudeln. / Gelobt sein die Räuber“, schreibt Hans Magnus Enzensberger in seinem Gedicht „Verteidigung der Wölfe gegen die Lämmer“. Während die Kunst bei „Ball of Fame“ in der Massenkultur räubert, verteidigt sie ihre Autonomie recht gut.
„Ball of Fame“, bis 9. 7., tägl. 13–21 Uhr, an spielfreien Tagen 16–22 Uhr, Umspannwerk Kopenhagener Str. 58