: VEB Exquisit
DDR-MODE „Sibylle“ hieß die begehrte und experimentierfreudige Modezeitschrift der DDR. Eine Ausstellung in Potsdam widmet sich ihrer unverwechselbaren Ästhetik und den politischen Kontrollversuchen der SED
VON ANGELA HOHMANN
Für die Seebadbilder sollten die Models auf Anweisung der Chefredakteurin „nicht wieder so traurig und elegisch aussehen“. Zum Spaß forderte Claudia Engelbrecht, Redakteurin der DDR-Modezeitschrift Sibylle, sie auf, doch mal so richtig böse zu schauen. Herausgekommen ist dabei die berühmte Schwarz-Weiß-Fotografie von Sibylle Bergemann „Marisa und Liane am Strand“ (Sellin, 1981), auf dem die beiden spröden Schönheiten in schwarzen Strandkleidern ihre skeptisch-grimmigen Blicke über die Schultern auf den Betrachter werfen. Die ernsten Mienen waren Anlass für Zensur: Vor der Veröffentlichung wurden rasch noch die Mundwinkel retuschiert – nach DDR-Ideologie sollte die sozialistische Frau optimistisch wirken.
Jeden Donnerstag ging die Chefredakteurin zur sogenannten „Rotlichtbestrahlung“ in die Abteilung Agitation des ZK der SED. Diese hatte die Kontrolle über sämtliche Medien der DDR, gab „Empfehlungen“, übte Kritik und erteilte Themenverbote. Die Sibylle unterstand direkt der Abteilung Frauen. Deren Leiterin bestimmte die Chefredakteurin sowie Inhalte und Konzeption des Heftes.
Dennoch ist innerhalb der ideologischen Grenzen restriktiver SED-Medienpolitik ein experimentierfreudiges Modejournal entstanden, das Fotografiegeschichte, wenn nicht Kulturgeschichte schrieb. Berühmte DDR-Fotografen wie Arno Fischer, Karol Kállay, Ute und Werner Mahler, Sven Marquardt, Roger Melis, Sibylle Bergemann und andere gaben der Sibylle ihre unverwechselbare Bildästhetik.
Tauglich und modern
Unter dem Titel „Sibylle – Modefotografie und Frauenbilder in der DDR“ widmet das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte am Neuen Markt in Potsdam der berühmten Modezeitschrift eine Ausstellung auf zwei Etagen.
„Die berufstätige, selbstbewusste, emanzipierte Frau wollte man zeigen, sich von alten Klischees trennen. Mode ins Verhältnis setzen zu gesellschaftlichen Idealen“, so stellt Dorothea Melis, die von 1961 bis 1970 die Modeabteilung der Sibylle leitete, den Anspruch der Zeitschrift dar, nach dem sowohl alltagstaugliche Mode präsentiert als auch ein modernes Frauenbild vermittelt werden sollte. Anhand von 17 Magazinfotostrecken, die von den Anfängen der Sibylle 1956 bis zu ihrer letzten Ausgabe 1995 reichen, wird die Arbeit der Zeitschrift dokumentiert. Ergänzt werden diese durch kurze Erinnerungen der jeweils am Produktionsteam beteiligten Personen und Originalabzüge der Fotografen.
Zusätzlich veranschaulicht wird das Bildmaterial mit Exponaten von Kleidungstücken, die nach den begehrten Schnittmustern der Sibylle gefertigt wurden, mit Modellen und Schuhen nach Entwürfen des Modeinstituts der DDR oder der volkseigenen Luxusmarke Exquisit, die in der Sibylle präsentiert werden mussten, und privaten Accessoires von Dorothea Melis, die diese den Models für Aufnahmen zur Verfügung stellte. In ausgelegten Mappen sind außerdem Blüten der SED-Medienpolitik zu begutachten: Richtlinien für die Konzeption der Sibylle, Kritik an der mangelnden ideologischen Sattelfestigkeit der Redakteure, Profilierung einer Zeitschrift im Spannungsfeld der Propagierung eines sozialistischen Modeideals und den Beschränkungen der Mangelwirtschaft.
Ein Modemagazin in der DDR zu machen, war Arbeit unter erschwerten Bedingungen: „Wenn ich einen Auftrag hatte, erwartete mich die Redakteurin mit einem Stapel Westzeitschriften. Überall lagen Zettel drin und es hieß, so wollen wie es gerne haben. Wenn wir in die Toskana reisen und Klamotten aus Paris bekommen, gerne! Aber wir fuhren in die Uckermark und die Kleider waren von VEBs. Ich musste aus Mist Bonbons machen, wie die Moderedaktion auch“, erinnert sich der Fotograf Rudolf Schäfer an die Arbeit für eine Fotostrecke über Blusen 1978.
Seit 1962 gab das Konzept von Arno Fischer der Sibylle ihr fotografisches Gesicht: Modefotografie wurde mit der Porträt- und Dokumentarfotografie zu auffälligen Bildkompositionen verbunden und gab Raum für Träume, die dem DDR-Regime das von ihr gegängelte Journal immer wieder suspekt machten: zu individualistisch, ideologisch zu oberflächlich, ja mitunter sogar gefährlich, wenn nicht klar war, ob es eher Wünsche schürte, die unerwünscht waren – etwa nach Waren, die man nicht kaufen konnte – oder ob es diese Wünsche im Sinne der SED-Vorstellungen kanalisierte.
„Miami Heiß“
In ihrer einzigartigen Verbindung von Mode, Fotografie und Kultur hat die Sibylle zu DDR-Zeiten nicht nur Frauen in ihren Bann gezogen, sondern auch Männer. Mit einer Auflage von 200.000 Exemplaren in Spitzenzeiten gehörte die alle zwei Monate erscheinende Zeitschrift für Mode und Kultur zu den beliebtesten und begehrtesten Publikationen und sie war stets vergriffen.
Etliche der Fotojournalisten blieben der Sibylle auch nach dem Niedergang der DDR treu und machten dort unter Westregie, als der Münchner Gong-Verlag das Journal führte, für sie befremdliche Erfahrungen: „Der neue Verlag“, so erinnert sich Werner Mahler an die Produktion der Fotostrecke „Miami Heiß“ 1991, „hatte einen Produzenten engagiert, nach dem Motto: Die Ostler können das nicht allein. Das war unsere erste Fotoproduktion nach dem Mauerfall“.
Die scharfen städtischen Hintergrundbilder waren unerwünscht, die Sibylle sollte keine Geschichten mehr erzählen. Immerhin kamen nach der Wende zwei Drittel der Abonnenten aus dem Westen. 1994 stieg Gong aus, und einige Vertreter des alten Sibylle-Teams führten die Zeitschrift bis zu ihrem Aus 1995 noch ein knappes Jahr im Selbstverlag weiter.
Im zweiten Teil schafft die Potsdamer Ausstellung Kontraste, indem sie der fotojournalistischen Dokumentation „Die Wäscherinnen“ (1984) von Ingrid Hartmetz, die unveröffentlicht blieb und das Leben einfacher Frauen in einem Wäschereibetrieb festhält, die idealtypischen Frauenporträts aus der Sibylle gegenüberstellt.
Im Hintergrund läuft als Projektion ein Bericht über die letzte offizielle Veranstaltung von Erich Honecker zum Frauentag am 8. März 1989 ab und erinnert daran, dass das Bild der Frau in der DDR immer auch im Fokus der Propaganda stand.
Die Ausstellung nähert sich dem Phänomen Sibylle und der Verhandlung des Frauenbildes in der DDR sehr vielschichtig und mit unterschiedlichen Medien. Kunstinteressierte und Fotografieliebhaber werden es bedauern, dass nicht mehr Originalaufnahmen ausgestellt sind.
■ Bis 22. August, Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Am Neuen Markt 9, Potsdam, Di.–Fr. 10–17 Uhr, Sa., So., Feiertage 10–18 Uhr