: Eine Frau auf dem Sprung
AUS COTTBUS BARBARA BOLLWAHN
Martina Münch hatte Angst, eine dieser Mütter zu werden, die zwischen Aufopferung und dem Anspruch, alles perfekt zu machen, frustriert auf der Strecke bleiben. Die Ärztin war mit zwei Kindern und ihrem Mann, einem Herzspezialisten, von Berlin nach Cottbus gezogen. Er hatte dort einen lukrativen Job bekommen. Und sie, wieder hochschwanger, kümmerte sich ausschließlich um die Kinder, sie, die Neurologin, die in Hamburg, London und den USA studiert hatte und viele Jahre am Berliner Virchow-Klinikum gearbeitet hatte. Würde sie als Vollzeitmutter unzufrieden, verbittert, „balla-balla“ werden?
Sie sitzt mit knielanger Hose und ärmelloser Bluse, nur die Lippen hellrosa geschminkt, auf der der Terrasse ihres Hauses in Cottbus-Branitz, in einer ruhigen Wohnsiedlung aus den 30er-Jahren. Die 44-Jährige hat die Beine auf dem Holzstuhl angewinkelt, sie wirkt entspannt und zufrieden. Balla-balla ist sie nicht geworden, obwohl sie seit ihrem Umzug in die Lausitz vor zwölf Jahren noch weitere fünf Kinder bekommen hat. Sie hat einen Ausspruch des Mediziners Rudolf Virchow umgesetzt. „Politik ist nichts weiter als Medizin im Großen.“
Statt ein Fernstudium in Germanistik, Geschichte und Philosophie zu machen oder wieder Klavier zu spielen, besuchte sie eine Sitzung des SPD-Ortsvereins. Mit 17 Jahren war sie in die SPD eingetreten. Jetzt, zwölf Jahre nach dem Umzug der gebürtigen Heidelbergerin nach Cottbus, ist sie Stadtverordnete der dortigen SPD, Landtagsabgeordnete und Sozialexpertin, Mitbegründerin eines Aktionsbündnisses gegen Rechtsextremismus. Morgen soll die Ärztin und siebenfache Mutter in die Parteispitze des SPD-Landesverbandes aufsteigen. Auf dem Parteitag in Fürstenwalde soll sie einen der vier Stellvertreterposten von Landesparteichef und Ministerpräsident Matthias Platzeck bekommen. Ob damit einer der kleinsten Landesverbände der SPD im Osten an Bedeutung gewinnt, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall hätten die Sozialdemokraten ihre Ursula von der Leyen.
Martina Münch fallen weitere Gemeinsamkeiten mit der CDU-Bundesfamilienministerin auf, wie sie Ärztin und siebenfache Mutter: „Wir sind beide Vatertöchter und unsere Väter waren beide Politiker.“ Doch für Martina Münch sind das nur „seltsame Zufälle“. –
„Ich bin nicht die Supermutti der SPD!“, sagt sie entschlossen und zieht die angewinkelten Beine fester an sich heran.
In der Landtagsfraktion, das sagt deren Sprecher, soll die siebenfache Mutter „nicht instrumentalisiert werden“. Martina Münch habe von Anfang an ein großes soziales Engagement gezeigt, trete eigenständig auf und finde nicht alles gut, was der Koalitionspartner macht. Deshalb gelte ihre Wahl als sicher, auch wenn sie nicht alle kennen.
Martina Münch trägt – im Unterschied zu von der Leyen – ihre Kinderschar nicht wie ein Schild vor sich her. „Mir ist das zu platt“, sagt sie und springt wie von der Tarantel gestochen auf. Eine Nachbarskatze hat sich im Gebüsch in einem Eichhörnchen verbissen, das erbärmlich jault. Wütend verscheucht sie die Katze. Trotzdem fände sie es reizvoll, sich einmal mit der Bundespolitikerin zu treffen. „Wer so viele Kinder hat und an so exponierter Position steht, das ist schon interessant.“ Und: Immerhin habe es von der Leyen geschafft, das Thema Familie so in den Mittelpunkt zu rücken, dass es nicht unbedingt mehr als anstößig gilt, viele Kinder zu haben. „In der allgemeinen Wahrnehmung gilt man als nicht ganz zurechnungsfähig, katholisch oder blöd“, sagt sie.
Von der Leyen ist evangelisch, Martina Münch ist katholisch und nennt die Kinder einen Segen. Warum der Segen so zahlreich ausgefallen ist? Sie lacht. „Wenn ich etwas mache, dann richtig.“ Trotzdem hat sie nicht den Anspruch, perfekt zu sein. „Das kann man lernen. Vielen westdeutschen Frauen fällt das offenbar schwer.“ Nach zwölf Jahren in der Lausitz klingt Martina Münch, deren Kinder Lausitzer Dialekt sprechen und später zum Studieren vielleicht „nach drüben“ gehen, wie eine Frau aus dem Osten: pragmatisch.
Nicht selten macht sie sich Vorwürfe, nicht genug Zeit für ihre Kinder zu haben. Für Benno, 14, Moritz, 12, Gesine, 11, Nele, 9, Valentin, 7, Benjamin, 4, und Felix, 2. „Aber wenn ich bei mir bin, profitieren auch die Kinder davon.“ Um die Arbeit im Bürgerbüro, im Stadtparlament, im Landtag und zu Hause zu schaffen, hat sie eine Haushälterin und eine Haushaltshilfe. Münch bedauert, dass für ihren Mann eine Vaterzeit nicht in Frage kam. „Er ist so sozialisiert, die Familie zu versorgen. Es ist schwer zu akzeptieren, dass Männer so ticken.“
Es wird interessant sein zu sehen, welche Rolle Martina Münch in der Brandenburger Parteispitze spielen wird. Ihr Einstieg in die Kommunalpolitik war relativ leicht. Als sie bei den Cottbuser Genossen auftauchte, wurden gerade Kandidaten für die Stadtverordnetenversammlung gesucht. Angesichts der vielen älteren Herrschaften und ihres Interesses an einer Kandidatur wurde die promovierte Ärztin und damals vierfache Mutter aufgestellt. Als sie erneut schwanger wurde, war ihr das „total peinlich“. Sie wollte am liebsten hinschmeißen. Doch ihr Mann ermunterte sie, weiterzumachen. „Ich dachte, ich kriege das Kind, werde nicht gewählt und spiele dann doch Klavier.“ Aber sie wurde gewählt. Zwei Wochen nach der Wahl kam das fünfte Kind zur Welt. Einen Tag nach der Geburt nahm sie an der konstituierenden Sitzung teil.
Was erhofft sich Ministerpräsident Platzeck von ihr als Stellvertreterin? Seine Antwort bleibt vage. „Martina Münch verbindet auf bewundernswerte Weise Job und Familie miteinander. Ihre Standfestigkeit und ihren Mut im Kampf gegen den Rechtsextremismus kann man nicht oft genug hervorheben.“
Münch verhehlt nicht, dass sie sich auch für die Bundespolitik interessiert. „In großen Linien denken kommt in der Kommunalpolitik zu kurz.“ Deshalb wollte sie 2002 für den Bundestag kandidieren. „Ich wusste, ich habe keine Chance. Aber ich wollte einen Sprung wagen.“ Ein Kumpel aus der Braunkohle machte das Rennen. „In einer Volkspartei“, sagt sie heute, „ob CDU oder SPD, braucht man auch Sitzfleisch und Beharrlichkeit, um weiterzukommen.“
Beharrlich ist sie. Mitte Juni kürte die Cottbuser SPD sie zur Kandidatin für die Oberbürgermeisterwahl im Oktober, vorausgesetzt, der Bürgerentscheid am Sonntag zur Abwahl der derzeitigen parteilosen Oberbürgermeisterin findet eine Mehrheit.
Damit würde die Bundespolitik in weite Ferne rücken. Nicht aber ihr Interesse daran. Bundesfamilienministerin? Das wäre schon ein Amt, das sie reizen könnte. Die Familienpolitik der CDU nennt sie „eine rückwärtsgewandte Fürsorgepolitik“. Das Elterngeld gehe zwar in die richtige Richtung, sei aber eine Klientelpolitik, die vor allem dem Mittelstand zugute komme. „Für die sozial Schwachen hat von der Leyen anscheinend wenig Gefühl.“ Die von der Familienministerin angestrebte Wertevermittlung durch die Kirchen kann sie auch nicht gutheißen. „Ich bin ein großer Verfechter von Kirche und Glauben. Aber wir leben in einer säkularen Welt.“ Sie hat damals Matthias Platzeck „klipp und klar gesagt“, dass es ein Fehler der Bundespartei gewesen sei, nach den Neuwahlen der CDU das Familienressort zu überlassen.
Als Platzeck sie vor wenigen Wochen anrief und fragte, ob sie sich das Stellvertreteramt vorstellen könne, bekam Martina Münch einen Schreck und fragte sich „Hab ich was falsch gemacht?“ Sie weiß, dass Platzeck sich gerne mit „Eigengewächsen“, märkischem Urgestein, umgibt. Nachdem sie sich von dem Schreck erholt hatte, freute sie sich. „Ich sehe das als persönliche Anerkennung.“ Nun hofft sie, sich „an exponierter Position für Zukunftsthemen des Landes einsetzen zu können“ und nicht auf Repräsentationszwecke beschränkt zu werden.
Im Mittelpunkt des morgigen Parteitages steht neben der Neuwahl des Landesvorstandes der familien- und bildungspolitische Leitantrag „Zukunft sichern – Familien stärken – Kinder fördern“. Darin heißt es unter anderem, dass gerade jüngere, gut ausgebildete Frauen kein „Entweder-oder“ wollen, sondern ein Leben mit Kind und beruflichem Fortkommen. Neulich stellte Platzeck sie dem Münchener Oberbürgermeister als siebenfache Mutter vor. „Oh Mann, muss der das sagen? Das ist doch keine Qualifikation.“ Das hat sie gedacht. Gesagt hat sie es nicht.