: Zentralismus light
VON MAURITIUS MUCH UND PHILIPP DUDEK
Jahrelang stritten Bund und Länder über die Neuverteilung ihrer Kompetenzen. Heute wird im Bundestag die Föderalismusreform verabschiedet – und dafür die größte Grundgesetzänderung seit 1949 auf den Weg gebracht. Neben mehr Transparenz für die Bürger und mehr Eigenständigkeit für die Länder soll die Reform vor allem die Gesetzgebung beschleunigen. Die Zahl der Gesetze, denen der Bundesrat zustimmen muss, soll von derzeit rund 60 Prozent auf unter 40 Prozent sinken. Wenn es ums Geld geht, ist allerdings Schluss mit Zentralismus: Der Bundesrat darf künftig ein Veto einlegen, wenn Gesetze „Pflichten der Länder zur Erbringung von Geldleistungen oder geldwerten Sachleistungen gegenüber Dritten begründen“, heißt es im Koalitionsvertrag von CDU und SPD.
Die wichtigsten Grundgesetz-Änderungen im Überblick:
Abweichungsrechte: Erstmals wird im Grundgesetz ein Recht der Länder festgeschrieben, von der Gesetzgebung des Bundes abzuweichen. Das betrifft Verfahrensregeln, die der Bund erlässt, aber auch zum Beispiel Teile des Umweltrechts sowie Ladenschlusszeiten, Gaststättenrecht, Presserecht, Jagdwesen und Sport- und Freizeitlärm. Der Bund kann allerdings Gesetze, die von Ländern abweichend geregelt werden, seinerseits wieder neu fassen. Die Folge: Dieses neue Bundesrecht gilt wieder im ganzen Bundesgebiet und verdrängt die zwischenzeitlichen Abweichungen.
Bundesrechte: In einigen Bereichen hat der Bund nun die ausschließliche Kompetenz: Atomkraft, Melde- und Ausweiswesen, Waffen- und Sprengstoffrecht und Schutz deutschen Kulturgutes. Das Bundeskriminalamt wird gestärkt. Es hat nun deutlich mehr Rechte bei der Terrorismusabwehr. In letzter Minute einigte sich die große Koalition darauf, dem Bund auch die alleinige Verantwortung für das Notariatswesen zu übertragen.
Umwelt: Auch in diesem Bereich wird es nicht übersichtlicher. Bislang war hier der Bund nur für die Rahmengesetzgebung zuständig. Künftig bekommt er direkte Kompetenzen für den Naturschutz und die Landschaftspflege sowie den Wasserhaushalt. Der Bund darf also Gesetze erlassen. Allerdings dürfen die Länder in einzelnen Bereichen, wie dem Naturschutz, davon wieder abweichen.
Bildung: Die Länderrechte in der Bildungspolitik werden gestärkt. Das ist der Preis, den der Bund für die Erweiterung seiner Befugnisse zahlen muss. Bei der Zulassung zum Studium und bei den Abschlüssen macht der Bund zwar bundesweite Vorgaben, jedoch können die Länder hier abweichen. Die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau läuft aus. Die Bundesmittel in Höhe von einer Milliarde Euro werden zu 70 Prozent direkt auf die Länder verteilt.
Mit einer Neuregelung wird es dem Bund möglich, nicht nur in die Hochschulforschung zu investieren, sondern auch Sonderprogramme wie den geplanten Hochschulpakt zur Schaffung von zusätzlichen Studienplätzen aufzulegen – das heißt, auch direkt Dozentenstellen zu bezahlen. Dem müssen aber alle Länder zustimmen. Dagegen werden Sonderprogramme des Bundes, wie etwa das Ganztagsschulprogramm, künftig ausgeschlossen.
Justiz: Mit der Reform sind die Länder künftig alleine für die Gefängnisse zuständig. Sie entscheiden, welche Ausstattungen die Knäste bekommen und wie die Häftlinge betreut werden. Diese Neuregelung war heftig umstritten. Auch beim Versammlungsrecht gibt es Änderungen. Bislang konnte auch der Bundestag entscheiden, wo Demonstrationen erlaubt werden, brauchte dafür aber die Zustimmung des Bundesrats. In Zukunft ist es alleine Sache eines Bundeslandes, Neonazi-Aufmärsche zu verbieten.
Pflege: Auch für die Pflegeheime tragen in Zukunft ausschließlich die Länder die Verantwortung. Lange stritten sich Union und SPD darüber, ob der Bund oder die Länder die Standards festlegen. Mehrere Sozialverbände befürchten eine Verschlechterung der Situation der Pflegebedürftigen, weil Bundesländer das Budget kürzen oder Stellen streichen könnten. Baden-Württemberg beispielsweise will nur noch 30 Prozent der Pflegekräfte beschäftigen.
Beamte: Bislang konnte der Bund über die Bezahlung und die Versorgungsansprüche der Beamten entscheiden. Jetzt haben die Bundesländer die alleinige Kompetenz im Beamtenrecht. Insgesamt werden rund 1,2 Millionen Beamte betroffen sein. Während reiche Bundesländer die Neuerungen befürworten, haben arme Länder Angst, dass gute Beamte abgeworben werden.
Haushalt: In einem neuen Grundgesetzartikel verpflichten sich Bund und Länder zur Haushaltsdisziplin. Sollte Deutschland von der EU verklagt werden, weil es zum wiederholten Mal ein wirtschaftliches Defizit von mehr als 3 Prozent vorweist, müssen Bund und Länder Strafe zahlen. Die Bundesländer haben dann 35 Prozent der Geldbuße zu tragen, den Rest trägt die Bundesregierung.
Europa: Die Bundesländer konnten bislang bei vielen Entscheidungen der Europäischen Union mitwirken. Jetzt ist die Bundesregierung weitgehend souverän. Die Länder dürfen künftig nur noch dann an den Verhandlungen in Brüssel teilnehmen, wenn es sich um die Themen schulische Bildung, Kultur und Rundfunk handelt. Auch können die Länder nicht mehr einzeln in Brüssel mitreden, sondern der Bundesrat bestimmt einen Repräsentanten.
Städte: Sie können nicht mehr so stark finanziell belastet werden wie bisher. Der Bund kann keine Gesetze mehr beschließen, durch die auf die Städte und Kommunen mehr Aufgaben und damit höhere Kosten zukommen.
Berlin: Der Status von Berlin als Hauptstadt und die gesamtstaatliche Repräsentation des Bundes in Berlin sind Bundesaufgaben. Das heißt, das finanzschwache Bundesland Berlin bekommt künftig mehr Geld vom Bund. Die Verpflichtungen gegenüber dem früheren Regierungssitz Bonn bleiben davon unberührt.
Steuern: Wie die Steuereinnahmen auf Bund und Länder verteilt werden, ist bislang überhaupt nicht geklärt. Das soll die zweite Stufe der Föderalismusreform leisten. Doch die FDP befürchtet, dass Union und SPD den zweiten Schritt auf die lange Bank schieben könnten. Deshalb fordern die Liberalen eine verbindliche Erklärung, die zweite Stufe bald in Angriff zu nehmen.
Finanzen: Künftig ist ein Nein der Länder möglich, wenn ein Bundesgesetz die Länder verpflichtet, Geld- oder Sachleistungen aus ihrem eigenen Etat zu erbringen – und das kommt relativ häufig vor. Tatsächlich wird auf diese Weise eine Vielzahl an Gesetzen zustimmungspflichtig bleiben. Experten unken deshalb, hier würden alte Blockadeinstrumente des Bundesrates durch neue ersetzt.