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Archiv-Artikel

Gott hat uns ein Hirn gegeben

ABU ZAID Die göttliche Offenbarung ist in menschlicher Sprache verfasst. Auch der Koran spiegelt daher seine Zeit, meinte Nasr Hamid Abu Zaid, einer der größten islamischen Reformdenker. Er starb am Montag

„Sprache ist ein menschliches Produkt, und jede Sprache trägt in sich die Kultur der jeweiligen Gesellschaft, ihre Begriffe, Konzeptionen und ihre Werte“

ABU ZAID

VON KARIM El-GAWHARY

„Warum hat uns Gott ein Hirn gegeben, wenn wir es nicht benutzen“, hat Nasr Hamid Abu Zaid einmal gesagt. In einer Zeit, in der viele Islamisten den Koran und dessen niedergeschriebene Regeln Wort für Wort durchsetzen wollen, war Abu Zaid vor allem eines: mutig. Denn der ägyptische Linguistikprofessor argumentierte, dass der Koran zwar eine Offenbarung sei, aber eben niedergeschrieben in menschlicher Sprache, die die damaligen Werte widerspiegelt. Man muss auch über den Koran rational diskutieren können, forderte der Muslim. Mit dieser Aussage war Abu Zaid in der islamischen Welt ein intellektueller Revolutionär, wahrscheinlich einer der größten islamischen Reformdenker seiner Zeit.

Am Montag ist er mit 67 Jahren an einem Virus in Kairo verstorben. Er hatte sich immer dafür eingesetzt, dass die den Muslimen heiligen Quellen auch vor deren Hintergrund und Entstehungsgeschichte analysiert und interpretiert werden können. Auch in einem Interview mit der taz hat er einmal seinen Standpunkt erklärt. Er habe nie bestritten, dass der Koran von Gott offenbart wurde. Das sei seine göttliche Seite, sagt er damals, vor fünfzehn Jahren. Aber er fügte hinzu: „Der Koran hat noch eine linguistische Seite: In welcher Sprache wurde dieses göttliche Wort ausgesprochen? Sprache ist nichts Göttliches. Sprache ist ein menschliches Produkt, und jede Sprache trägt in sich die Kultur der jeweiligen Gesellschaft, ihre Begriffe, Konzeptionen und ihre Werte.“

Abu Zaid wusste, dass er mit diesen Aussagen anecken würde. Aber er konnte nicht ahnen, wie weit jene gehen würden, die in ihm einen gefährlichen Ketzer sahen. Zunächst zerstörten sie seine Karriere an der Kairoer Universität. Abdul Sabbour Shahin, ein Mitglied des Komitees, das über Abu Zaids feste Professorenstelle zu bestimmen hatte, erklärte ihn öffentlich in den Medien zu einem Ungläubigen. Aber das war ihnen nicht genug. Sie wollten Abu Zaid um jeden Preis als Abtrünnigen vom Islam brandmarken. Da es im ägyptischen Gesetz keinen Apostasie-Paragrafen gab, bedienten sie sich eines juristischen Winkelzuges. In einem einzigartigen Gerichtsverfahren setzten sie 1995 durch, dass Abu Zaid von seiner Frau, der Romanistin Ibtihal Yunis, zwangsgeschieden wurde. Die Islamisten hatten argumentiert, dass ein Abtrünniger nicht mit einer Muslimin verheiratet sein dürfte. Einige Anwälte hatten Abu Zaid damals geraten, einfach vor dem Richter sein islamisches Glaubensbekenntnis abzulegen und den Fall damit ad acta zu legen. Doch Abu Zaid weigerte sich. Er wollte sich nicht darauf einlassen, dass ein Gericht ihm ein Zeugnis als Muslim ausstellt.

Es folgten Morddrohungen vonseiten militanter islamistischer Gruppen, für die Abu Zaid nach dieser gerichtlichen Feststellung als Abtrünniger auf der Abschussliste stand.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt war Abu Zaid auch die Aufmerksamkeit der westlichen Presse sicher – damit hatte er sich immer sichtlich unwohl gefühlt. Er wollte sich nie vor einen antiislamischen oder antimuslimischen Karren spannen lassen. Nach dem Urteil sagte er: „Ich sorge mich um das Image des Islam und meines Landes.“

Der lebensfrohe und humorvolle Abu Zaid verweigerte den in Ägypten angebotenen Polizeischutz. „Ich bin zu dick, da kommen die Kugeln nicht durch“, witzelte der korpulente Professor damals noch. Doch gleichzeitig gab er auch zu, wie nahe im das alles ging. „Das alles ist schlimmer als eine schwarze Komödie“, sagte er, kurz bevor das Paar erst nach Spanien und dann nach Holland flüchtete, wo Abu Zaid zunächst als Gastprofessor an der Universität Leiden, später mit einem Lehrstuhl der Humanwissenschaften in Utrecht lehrte. Vor fünf Jahren erhielt er in Berlin den Ibn-Rushd-Preis für freies Denken.

In den letzten fünf Jahren traute sich Abu Zaid wieder nach Ägypten zu reisen, um Verwandte zu besuchen. Und er wagte es auch, dort wieder offen seine Thesen in Fernsehtalkshows zu verteidigen. In der ägyptischen Talkshow „Beit Beitak“ hatte er sich erst letzten Februar auch als glühender Verfechter einer Trennung von Staat und Religion präsentiert. „Der Staat hat keine Religion. Er betet und er pilgert nicht. Er ist dazu da, die Angelegenheiten aller Bürger zu regeln, und die haben verschiedene Religionen“, begründete er seine Position.

Die islamische Welt hat einen ihrer couragiertesten Denker verloren. Am Montagnachmittag wurde Abu Zaid in seinem Heimatdorf in der Nähe der Stadt Tanta im Nildelta beigesetzt.