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Archiv-Artikel

Nicht immer ein Zuckerschlecken

Panter-Kandidat (4): Die 44-jährige Iris Biesewinkel betreut mit ihrem Verein Roma-Flüchtlingsfamilien

An dieser Stelle porträtieren wir jeden Samstag einenN von neun KandidatInnen für den taz-Panter-Preis

Wenn mal wieder eine Abschiebung droht, dann leuchtet bei Iris Biesewinkel die rote Lampe, zumindest im Geiste. Jetzt zählt nur noch rasches Handeln: Ausländerbehörde anrufen, den Anwalt informieren, Atteste und psychologische Gutachten einholen. Die Zeit läuft, und und alle anderen Probleme – und es sind derer genug, die Iris Biesewinkel lösen muss – stehen erst einmal hintenan. Die 44-Jährige, engagiertes Mitglied des Netzwerkes gegen Abschiebung und Ausgrenzung in Köln („Kein Mensch ist illegal“), hat in den letzten Jahren schon so manche Abschiebung verhindert. Gerade erst hat sie eine Roma-Familie unter ein schützendes Dach in Düsseldorf gebracht – Kirchenasyl, bis auf weiteres. Eine Mutter mit vier Kindern, im letzten Jahr hatten sie noch im Park geschlafen, der Vater ist schwer psychisch erkrankt.

Die Sozialarbeiterin Iris Biesewinkel kümmert sich mit ihrem Verein Roma e. V. um jene Roma – vor allem um die Kinder –, die schon seit den späten 80er Jahren in und um Köln ansässig geworden sind, und auch um jene, die der Kosovokrieg an die Ufer des Rheins gespült hat. Iris Biesewinkel möchte ihnen helfen, in Köln eine neue Heimat zu finden. Nicht ganz einfach, denn sie kämpft an zwei Fronten: Zum einen sind Roma aufgrund ihrer Identität schwer zu „integrieren“, Nicht-Roma gegenüber hegen sie ab einem bestimmten Punkt Misstrauen, innerhalb der eigenen Community gelten spezielle Gesetze, zum anderen sind die Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft in Bezug auf die Roma besonders hartnäckig: „Jeder in Deutschland hat irgendeine schlechte Geschichte über die Roma zu erzählen, dabei ist die eigentliche Geschichte immer gleich, wenn die Gesellschaft Probleme hat, lässt sie sie an den Schwächsten aus.“ Und produziert Parallelwelten.

Iris Biesewinkel hält dagegen, sie weiß um die Ambivalenzen. Die meisten Roma wollen eine Wohnung, Arbeit, ein gutes Leben, sie wollen nicht mehr vertrieben werden. Doch wie soll das funktionieren, wenn sie offiziell gar nicht arbeiten dürfen, oft der Sprache und vor allem der Schrift nicht mächtig sind? Schon ein Gang zur Behörde wird so zu einer Unmöglichkeit, „Frau Iris, guck mal“, heißt es dann im stets gut besuchten Büro der Sozialarbeiterin in der Nähe des Kölner Neumarkts. Frau Iris guckt dann und macht, kämpft darum, dass wenigstens die Kinder zur Schule gehen und die Sprache lernen – sie sollen eine Perspektive haben. Natürlich unternimmt sie generell nichts gegen den Willen ihrer Klienten, ihre Arbeit besteht auch darin, anzuregen, zu ermutigen – eben auch darin, Perspektiven aufzuzeigen.

Iris Biesewinkel hat schon viel gesehen und erlebt, man sieht es am Ausdruck ihrer Augen – sie verraten, dass sie es auch nicht immer einfach hatte. Mit siebzehn ist sie von zu Hause ausgerissen, „es war einfach zu eng im Sauerland“, und nach Köln geflüchtet. Sie lebte in Wohnprojekten und WGs, später sogar im Bauwagen („im Prinzip ein hartes Dasein“), schlug sich mit ABM-Jobs durch, machte Musik auf der Straße, half Flüchtlingskindern bei den Hausaufgaben, engagierte sich beim Kölner Appell gegen Rassismus. Gelernt hat sie nach einer abgebrochenen Lehre als Tischlerin schließlich den Beruf der Sozialberaterin mit dem Schwerpunkt Migration. Und eine eigene Wohnung nur für sich selbst hat sie erst seit zwei Jahren. Menschen, die irgendwie keine Heimat haben und anders sind, sind ihr nicht fremd.

Ihre Klienten scheinen dies zu spüren, vertrauen ihr, sind dankbar: „Wenn ich wollte, müsste ich überhaupt nicht mehr kochen, ich wäre jeden Abend bei einer Familie zum Essen eingeladen.“ Am liebsten mag sie den Kuchen nach Roma-Art, mit viel Creme und Obst, auch wenn das Miteinander nicht immer ein Zuckerschlecken ist: „Manchmal wird es hier sehr laut im Büro, man muss sich auch mal durchsetzen, insbesondere den Männern gegenüber.“ Und für Iris Biesewinkel ist klar, dass sie im Zweifelsfall auf der Seite der Frau steht.

Wird ihr das manchmal alles zu viel? „Ja.“ Wann dachte sie zuletzt, dass sie nicht mehr kann? „Gestern!“

Da nahm die Polizei einem Kind die Marken-Jacke ab und entzog der Familie die Sozialhilfe – dabei stammte die Jacke aus dem Altkleider-Fundus von Rom e. V. Iris Biesewinkel konnte das gerade noch wieder hinbiegen. Dann wurde ein Jugendlicher verhaftet, auf die Frage, warum er das Handy geklaut hatte, sagte er: „Ich wollte es verkaufen, ich hatte Hunger.“ Es geht oft einfach nur ums Durchkommen, und Iris Biesewinkel weiß das: „Wer nichts zu fressen hat, geht eben betteln, so ist das nun mal.“ Niemand möchte gerne wahrhaben, wie viele Menschen sich in Deutschland von den Abfällen der Supermärkte ernähren.

Iris Biesewinkel wandelt stets auf einem schmalen Grat, ohne abzustürzen –und das, obwohl sie nicht einmal ein wirklich klares Ziel vor Augen hat. Sie versucht stattdessen, einfach nur das Richtige zu tun, menschlich zu sein. „Ohne eine persönliche Schiene kommt man nicht weiter mit den Roma, man muss sehr nah ran und im richtigen Moment wieder zurück. Die meisten Roma sind bis zu einem gewissen Punkt sehr offen, dann machen sie dicht.“ Professionell muss sie sein und kann diesem Anspruch doch nicht immer gerecht werden: „Wenn es um eine Abschiebung geht, kann ich mich nicht rausziehen, das nimmt mich einfach zu sehr mit.“

Nein, ein knallharter Profi ist Iris Biesewinkel nicht. Sie träumt zwar manchmal von einem Urlaub mit Strand und Palmen, im wirklichen Leben fährt sie stattdessen auf den Balkan, um aus Köln abgeschobene Roma-Familien zu besuchen. Demnächst, wenn alles klappt, sitzt sie wieder im Flieger.

MARTIN REICHERT