: Schlechtes Zeugnis für Dinges Dierig
Wenn Politik dumm macht: Laut neuer Kess-Studie verloren Grundschüler seit 2003 ein Jahr Lernvorsprung
Hamburg schnitt schlecht ab bei der Pisa-Studie, doch die hiesigen Bildungspolitiker hatten Grund zur Hoffnung – bis gestern. Die Schulstudienreihe Kess – für „Kompetenzen und Einstellungen von Schülerinnen und Schülern“ – hatte 2003 für den Jahrgang 4 gute Ergebnisse erbracht. Gegenüber dem 1996 in Klasse 5 in einer so genannten Lernausgangsuntersuchung (Lau) getesteten Jahrgang hatten die nun geprüften Schüler im Lesen einen Lernvorsprung von einem halben Jahr, in Mathe war es sogar ein Jahr. Die „Verlässliche Halbtagsgrundschule“, eingeführt noch unter Rot-Grün, schien Früchte zu tragen.
Mit Spannung wurden nun die Ergebnisse von „Kess 7“ erwartet: In dieser Studie wurden dieselben Schüler gut zwei Jahre später, am Anfang von Klasse 7, getestet. Das Ergebnis ist erschütternd. „Was bei Kess 4 dazugelernt wurde, wird in der Sekundarstufe 1 wieder verspielt“, brachte der Leiter der Studie, Winfried Bos, die Sache auf den Punkt. Verglichen mit den 1998 bei Lau 7 getesteten Siebtklässlern sei der Vorsprung „nicht mehr nachzuweisen“. Das einzige nicht enttäuschende Fach sei Englisch: Hier, so Bos, sind die Kess-Schüler ihren Vorgängern „signifikant“ voraus. Dies sei dem Englischunterricht ab Klasse 3 sowie einem gezielten Fortbildungsprogramm für Grundschullehrer zu verdanken; beides wurde noch unter SPD-Schulsenatorin Raab eingeführt. Eine solche Qualitätsoffensive forderte Bos nun auch für das Fach Mathematik, das in Hamburg ein „großes Problemfeld“ sei.
Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (CDU) versprach, man werde in den Klassen 5 und 6 „anders denken, und neue Rahmenbedingungen setzen“. Die Frage eines besseren Mathematik-Unterrichts sei „Neuland“, sagte die Senatorin und berichtete von einem Versuch in Berlin, in dem sich Schüler während eines Jahres von einer 5 auf eine 2 verbesserten. Dort säßen aber nicht „30 Schüler und warten, bis sie was gefragt werden“, sondern arbeiteten eigenständig in kleinen Teams an der Lösung von Problemen.
Neue Ressourcen bräuchten die Schulen dafür nicht, sagte die Senatorin, sie müssten die vorhandenen nur „anders einsetzen“. „Miserabel“ sei es etwa, täglich sieben Stunden Unterricht am Stück zu geben. Stattdessen müsse der Unterricht durch Pausen unterbrochen werden und „häufiger am Nachmittag stattfinden“. Und die fehlenden Kantinen an so mancher Schule? Da könnten die Schüler auch „mal ein Butterbrot mitnehmen“, so Dinges-Dierig. Die Frage, ob Kess 7 der CDU ein schlechtes Zeugnis ausstelle, verneinte sie. Die nach dem Regierungswechsel 2001 eingeführten Änderungen bräuchten eben „Zeit“.
Das sieht die Opposition anders. Die CDU verantworte „eine ganze Reihe von Umsteuerungen“, sagte gestern die GAL-Fraktionschefin Christa Goetsch, und Kess 7 zeige, dass Hamburgs Schüler „heute weniger lernen als vorher“. Die Senatorin stehe vor einem „Scherbenhaufen“ und weigere sich, „auch nur einen Fehler zuzugeben“.
Der Senat habe die Zeit „verschlafen“, befand auch der SPD-Schulpolitiker Wilfried Buss und wies auf ein weiteres Ergebnis der Studie hin. Demnach könnte ein Drittel der Hauptschüler auch aufs Gymnasium gehen, was ihre Leistungen betrifft. Dass dies nicht geschehe, zeige, „wie ungerecht das dreigliedrige Schulsystem ist“. KAIJA KUTTER