: Essen und Gegessenwerden
AUS AFRIKA Die Galerie Peter Herrmann widmet sich dem Sündenfall und anderen Mahlzeiten
Der Raum ist abgedunkelt. Leise surrt der Beamer, der einen riesigen Rinderkopf auf die gegenüber liegende Wand projiziert. Seelenruhig rupft, kaut und schluckt die Kuh das saftige Grün. Schnitt. In der nächsten Einstellung sind die im Wind wogenden Halme dieselben, aber jetzt grast Myriam Mihindou, die Künstlerin selbst.
Den Kopf hat sie nach vorne gebeugt und etwas zur Seite geneigt, um das Gras optimal abbeißen zu können. Selbstvergessen kaut sie, als wäre der Gedanke an Werkzeug noch nicht da gewesen. „Die hat’s leicht; die muss nicht kochen“, flüstert ein Mann mit dicker Brille seiner Begleitung zu.
Myriam Mihindou bricht in ihrer Videoarbeit aus dem Jahr 2002 das Essen auf die reine Nahrungsaufnahme herunter. Gleichzeitig hinterfragt sie die Bedeutung, die der kulturell eingebundene Mensch dem Speisen gegeben hat. Es waren Arbeiten wie die der Gabunerin, die den Berliner Galeristen Peter Herrmann zu einer Ausstellung über Essen bewegt haben. „Genuss, Ritual, Vielfalt, aber auch die Institutionalisierung durch die Religion – das steckt da alles drin. Das musste man mal mit ein paar Arbeiten exemplarisch zusammenfassen.“ Und in der Tat ist „Essen“ ein kulturhistorischer Rundumschlag geworden.
Nicole Guiraud fängt ganz vorne an: Adam und Eva als Miniaturmalerei erinnern uns daran, dass es ein einziger Happen war, der die Schuld der Menschheit vor Gott begründete. Der Genuss des Apfels zieht die direkte Bestrafung nach sich. In der Ausstellung hängt deshalb auch direkt daneben „Die Vertreibung aus dem Paradies“, eine Malerei von Dalila Dalleas. Mit einem eindrucksvollen flächigen Farbauftrag und viel Schwarz evoziert sie das Gefühl der Leere nach dem Rausschmiss.
Im Erdgeschoss der Galerie ist eine weitere Arbeit Dalleas’ zu sehen. Auf der Leinwand verschlingt ein großer, weißer Mann eine kleine, schwarze Frau. Es ist weniger wörtlich zu nehmender Kannibalismus als vielmehr die obligate Kritik am Exotismus und der Hegemonie des weißen Mannes. Essen und Gegessenwerden sind hier eine Metapher für das soziokulturell ungleiche Verhältnis von Schwarz und Weiß, Mann und Frau.
Ein paar Arbeiten hat Peter Herrmann, der sich auf afrikanische Kunst spezialisiert hat, extra für seine jüngste Ausstellung anfertigen lassen, zum Beispiel von dem Fotografen George Osodi aus Nigeria. Auf einem Foto ist der Markt von Lagos in der Totalen zu sehen. Mit etlichen Quadratkilometern stellt er einen Mikrokosmos mit exklusiven Schuh-, Gemüse- und Fleischvierteln dar. Fremde verirren sich leicht, spüren aber auch sofort, dass sich hier das Leben abspielt: laut, heiß und ein bisschen chaotisch. Ein anderes Bild zeigt einen Träger von hinten, ein riesiges Stück Fleisch quer über dem Rücken. Jeder, der schon mal einen großen Markt in Afrika besucht hat, erinnert sich an den beißenden Geruch von stundenlang in der Sonne liegendem totem Tier. Der Durchschnittsnigerianer ist froh, wenn er am Abend ein Stück davon auf seinem Teller findet.
Neben dem quirligen Marktleben, das Osodi uns in seiner Fotostrecke präsentiert, findet sich auch die Kritik am kompromisslosen weltweiten Nahrungshandel. Fleisch, das in Europa den Standards nicht genügt, wird kurzerhand nach Afrika verschifft. Gefrorene Hühnchen, die in Deutschland nicht mehr zum Suppekochen taugen, finden in Nigeria Absatz. Gerupft und ausgenommen, machen sie einfach weniger Arbeit, egal wie oft sie aufgetaut und wieder eingefroren wurden. Tiere aus einheimischer Zucht kauft kaum noch einer, und die lokalen Märkte werden erheblich geschädigt.
MARLENE GIESE
■ „Essen“ in der Galerie Peter Herrmann, Brunnenstr. 154, 10115 Berlin, bis zum 17. Juli