: Perfide Kollaboration
NORDIRLAND Anne Cadwalladers Buch über loyalistische Mordkommandos im Nordirlandkonflikt hat in Irland und Großbritannien für viel Wirbel gesorgt
VON RALF SOTSCHECK
Es war der 31. Juli 1975. Die Miami Showband, eine beliebte Tanzkapelle, war nach ihrem Auftritt im nordirischen Banbridge auf dem Nachhauseweg. In Buskhill, zehn Kilometer nördlich der Grenzstadt Newry, wurde der Minibus von der britischen Armee gestoppt. Die fünf Musiker wussten nicht, dass die Soldaten gleichzeitig Mitglieder der loyalistischen Terrororganisation Ulster Volunteer Force (UVF) waren.
Zwei der Soldaten wollten heimlich eine Zeitzünderbombe im Minibus platzieren. Offenbar sollten die Bandmitglieder als Bombenschmuggler der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) gebrandmarkt werden, die angeblich durch ihren eigenen Sprengsatz ums Leben gekommen waren. Doch die Bombe explodierte vorzeitig und tötete die beiden Soldaten. Die anderen eröffneten daraufhin das Feuer und ermordeten drei der Musiker, die anderen beiden überlebten schwer verletzt. Dem damals 29-jährigen Leadsänger der Band, Francis O’Toole, schossen die Soldaten 22 Mal in den Kopf, als er bereits am Boden lag.
Das war einer der bekannteren Fälle, in denen die britische Armee oder die nordirische Polizei im Laufe des Nordirlandkonflikts mit loyalistischen Mordkommandos kooperiert oder selbst getötet haben. Anne Cadwallader hat in ihrem Buch „Lethal Allies“ weitere 120 Fälle aufgeführt, in denen zwischen 1972 und 1976 vorrangig Katholiken mit Hilfe der „Sicherheitskräfte“ ermordet wurden. Einer von ihnen war der damals 22-jährige Colm McCarthy, Cousin des 2013 verstorbenen Literaturnobelpreisträgers Seamus Heaney. Der hat ihm ein Gedicht gewidmet, „The Strand at Lough Beg“.
Der ermordete Vater
Cadwallader ist in England geboren, sie kam 1981 nach Irland und berichtete für die BBC sowie für irische Radiosender und Zeitungen. Seit vier Jahren arbeitet sie beim Pat Finucane Centre, einer Menschenrechtsorganisation, die sich mit der Geschichte des Nordirlandkonflikts beschäftigt. Sie ist nach dem Rechtsanwalt Pat Finucane benannt, der unter anderem den Hungerstreikenden Bobby Sands vertrat und 1989 von Loyalisten unter Mithilfe der „Sicherheitskräfte“ ermordet wurde.
Im Pat Finucane Centre traf Cadwallader auf Alan Bracknell. Dessen Vater Trevor Bracknell war im Dezember 1975 in Donnelly’s Bar in Silverbridge erschossen worden, als er die Geburt seiner Tochter feierte. Alan Bracknell begann als Erwachsener, über die Umstände der Ermordung seines Vaters zu forschen.
Er fand schließlich heraus, dass sowohl Polizei als auch Armee an der Tat beteiligt waren. Und er forschte weiter. Bracknell wertete Unterlagen des Nationalarchivs und die Untersuchungen des „Historischen Untersuchungsteams“ der Polizei aus, er stellte ballistische Vergleiche von Waffen an und sprach mit Augenzeugen und Verwandten von Opfern.
Cadwallader schrieb die Ergebnisse seiner Untersuchungen auf. Sie nennt mehr als 20 Namen von ehemaligen oder noch aktiven Polizisten und Soldaten, die in die Morde involviert waren. Sie ist davon überzeugt, dass die Führungsspitzen von Armee und Polizei davon wussten und die Täter schützten.
Der Bekannteste war Robin Jackson, der auch bei dem Massaker an der Miami Showband dabei war. Auf sein Konto gehen mehr als 50 Morde, er war unter anderem 1974 an den Bombenanschlägen in Dublin und Monaghan beteiligt, bei denen 33 Menschen starben. Da ihn eine ganze Reihe hochrangiger Polizisten deckte, wurde er nie zur Rechenschaft gezogen und konnte bis zu seinem Krebstod 1998 weitermorden.
Der frühere hochrangige Offizier des britischen militärischen Geheimdienstes, Colin Wallace, sagte über Jackson: „Er war ein Profikiller. Er hat damit seinen Lebensunterhalt verdient. Die Behörden wussten nicht nur, was er tat, sondern die Staatsbediensteten ermutigten ihn, ihre politischen Gegner zu töten, und sie schützten ihn.“
Cadwalladers Buch ist ein überaus wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung des Nordirlandkonflikts, und diese Aufarbeitung ist notwendiger denn je. Zwar ist Nordirland seit dem Friedensabkommen von 1998 und der Mehrparteienregierung weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden, aber es kommt nach wie vor regelmäßig zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, zuletzt wegen des Streits um den Union Jack über dem Belfaster Rathaus. Die nordirischen Parteien haben den US-Diplomaten Richard Haass zu Hilfe gerufen, der zurzeit zwischen den Bevölkerungsgruppen zu vermitteln versucht.
Anna Soubry, Staatssekretärin im britischen Verteidigungsministerium, forderte, dass die 120 in Cadwalladers Buch beschriebenen Fälle gründlich untersucht werden müssen. „Mein Ministerium will sich nicht davor drücken, Fehler und Irrtümer einzugestehen oder sich dafür zu entschuldigen“, sagte sie, schränkte aber gleichzeitig ein, dass manche der vorgebrachten Anschuldigungen falsch sein könnten. Der nordirische Sozialdemokrat Mark Durkan entgegnete jedoch im Unterhaus, dass das Verteidigungsministerium bereits in den siebziger Jahren über die Verwicklung von Armee und Polizei in Mordanschläge Bescheid wusste.
„Die Kollaboration hat den Konflikt befeuert“, sagt Cadwallader. „Wir müssen aus der Vergangenheit lernen. Wer hat den Preis bezahlt? Die 120 Toten und ihre Familien, denen man mehr als 35 Jahre lang Lügen aufgetischt hat. Wir brauchen einen Prozess der Wahrheitsfindung, damit wir uns in eine gemeinsame Zukunft vorwärts bewegen können.“
Die beiden Überlebenden des Miami-Showband-Massakers und die Familien der drei ermordeten Musiker haben jetzt Klage gegen das britische Verteidigungsministerium und die nordirische Polizei eingereicht. Der Fall wird noch Anfang des Jahres vor dem High Court in Belfast verhandelt.
■ Anne Cadwallader: „Lethal Allies. British Collusion in Ireland“. Mercier Press, Cork 2013. 416 Seiten, 12,99 Pfund