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Archiv-Artikel

Wo Parteipolitik Pause macht

BÜRGERNÄHE Im Petitionsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses arbeiten Politiker über Fraktionsgrenzen zusammen, die sich anderswo oft wüst beschimpfen. Eine Bilanz

Ausschuss vs. Fashion Week

■  Breit ist der Protest gegen den Bebelplatz als Ort der Modeveranstaltung Fashion Week. Auch der Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses hatte sich im Januar dagegen gewandt und eine Verlagerung als unerlässlich bezeichnet. „So eine Halligalli-Veranstaltung hat nichts auf einem Platz verloren, auf dem Bücher gebrannt haben“, sagte der damalige Vorsitzende des Ausschusses, Ralf Hillenberg (SPD). Gebracht hat der Protest bislang wenig: Auch zu Jahresbeginn 2011 soll die Fashion Week, die zweimal jährlich in Berlin gastiert, wieder den Bebelplatz nutzen können. Zwar ist laut der Wirtschaftsverwaltung von Senator Harald Wolf (Linkspartei) nach Prüfung von über zehn Orten jetzt die Straße des 17. Juni möglicher neuer Standort. Diese Alternative soll aber erst nächsten Sommer zur Verfügung stehen. STA

VON STEFAN ALBERTI

„Blödsinn“, ruft Gregor Hoffmann und wirft sich in seinen dunklen Sitz im Plenarsaal zurück. Für den CDU-Mann ist es „Quatsch“, was die Grüne am Rednerpult gerade erzählt. SPDler und Vertreter der Linkspartei kommen später nicht viel besser weg – Hoffmann ist ein berüchtigter Zwischenrufer im Abgeordnetenhaus. Es ist derselbe Hoffmann, der wenig später mit seinen Gegnern zusammensitzt, ruhig diskutiert und einstimmig beschließt. Denn in Raum 304 tagt diesmal der Petitionsausschuss, der einzige Ort im Parlament, in dem Parteizugehörigkeit keine Rolle spielt.

Was im dritten Stock des Abgeordnetenhauses fast wöchentlich passiert, klingt wie eine Absurdität des Parlamentarismus. Die dreizehn Mitglieder verteilen die Arbeit gleichmäßig unter sich, hören sich zu und sind alleine daran interessiert, denen zu helfen, die sich mit einer Bittschrift an sie wenden, einer sogenannten Petition.

Oh ja, sagt Anja Kofbinger, die für die Grünen-Fraktion im Ausschuss sitzt, es lägen tatsächlich Welten zwischen ihr und dem CDU-Mann Hoffmann. Aber es gehe ja auch nicht um Sympathien, „es geht um die Sache“. Das ist sonst so ein Satz, den man als Journalist schnell wieder streicht, weil er unglaubwürdig klingt. Hier nicht.

Über 2.000 Berlinerinnen und Berliner haben sich im vergangenen Jahr an den Ausschuss gewandt, um sich über eine Behörde oder ihre Mitarbeiter zu beschweren. Menschen, die sich im Recht wähnten, aber keines bekamen, Menschen, denen ein Ansprechpartner fehlte, die nicht wussten, wie sie sich anders wehren. Jedem vierten konnte der Ausschuss nach eigener Zählung helfen. Grundsätzlich nicht helfen kann er bei Beschwerden über Gerichtsurteile oder private Streitfälle.

Diese Arbeit erregt zumeist wenig Aufsehen. Umso mehr fiel es auf, als sich der Ausschuss zu Jahresbeginn deutlich gegen die Modeveranstaltung „Fashion Week“ auf dem Bebelplatz wandte, wo ein Denkmal an die Bücherverbennung der Nazis erinnert. Eine Massenpetition hatte vom Senat die Verlegung gefordert.

Wer den öffentlichen Aufritt sucht, ist im Kulturausschuss besser aufgehoben

Das aber war ein Einzelfall. Alltag sind Beschwerden Einzelner, die sich aber bei zwei Themen zu Dutzenden häufen: der Bearbeitungszeiten in den Jobcentern und der Dauer von Wohngeldverfahren. „Unerträglich lang“ seien die gewesen, sagt Andreas Kugler. Der SPD-Mann ist seit Frühjahr Chef des Ausschusses. Vorgänger war sein Parteifreund Ralf Hillenberg, der hatte das Gremium neun Jahre lang geleitet. Im März aber war er in der sogenannten Howogate-Affäre politisch gestrauchelt, weil er seinen Job als Bauunternehmen und sein Abgeordnetenmandat zu wenig trennte.

Es ist die Erinnerung an Hillenberg, die den Ausschussvize Hoffmann unvermittelt glucksen lässt, als Kugler erzählt, wie sich auf dem kleinen Dienstweg manches beschleunigen lässt: mit einem Anruf beim zuständigen Sachbearbeiter. „Man kennt sich“, sagt Kugler – und wird sich erst danach bewusst, dass er gerade den Satz zitiert hat, der mehr als alles andere für Howogate steht. „Der Unsatz des Jahres“, grinst auch die Grünen-Abgeordnete Kofbinger später.

Doch was bei „Howogate“, im Feld der Wohnungs- und Bauwirtschaft, für das Umgehen gesetzlich vorgeschriebener Ausschreibungen steht, hilft bei Petitionen sichtlich weiter. „Das kann das Verfahren ganz schön abkürzen“, bestätigt Kofbinger. „Da können wir schon dem Petenten sagen, dass alles klar geht, und der kann aufatmen.“ Der offizielle Bescheid von der Behörde sei dann nur noch Formsache.

Es ist ein arbeitsintensives Gremium. Während andere Ausschüsse ein- bis zweimal im Monat zusammenkommen, tagen die 13 Mitglieder des Petitionsausschusses in der Regel wöchentlich. Auch deshalb reißen sich die Abgeordneten nicht gerade um die Arbeit. Dass Kofbinger und ihr Grünen-Kollege Stefan Ziller seit Beginn der Wahlperiode, seit über dreieinhalb Jahren, im Petitionsausschuss sitzen, ist in ihrer Fraktion ein Novum. Früher hatte die Besetzung jährlich gewechselt.

2.000 Berliner wandten sich 2009 an den Ausschuss. Jedem vierten wurde geholfen

Andere Ausschüsse sind prestigeträchtiger: Der Hauptausschuss, ohne den kein Euro fließt, ist zwar ebenfalls arbeitsaufwendig, aber eben auch sehr einflussreich, ebenso wie der Stadtentwicklungsausschuss. Und wer gerne extrovertierten Berliner Theaterintendanten sagt, wo es langgeht, will in den Kulturausschuss. Was sie vor vom Petitionsausschuss unterscheidet: Sie alle tagen öffentlich. Wer dort bei einem aktuellen Thema einen besonderen Auftritt hinlegt, der kann es schon mal in die Medien schaffen.

Diese Arbeitsweise aber wäre das absehbare Ende der überparteilichen Arbeit im Petitionsausschuss. Denn in den öffentlich tagenden Ausschüssen fallen die Entscheidungen fast ausnahmslos entlang den Fraktionslinien: hier die rot-rote Koalition, dort CDU, FDP und Grüne. Und der besondere Auftritt dort oder in der Plenarsitzung besteht oft darin, über die Gegenseite herzuziehen. Das ist nicht das Klima für überparteiliche Zusammenarbeit.

So sitzt auch Gregor Hoffmann ein paar Tage später wieder zurückgelehnt im Plenarsaal und kritisiert Reden der Regierungskoalition. Ein paar Tage darauf in Raum 304 wird das wieder keine Rolle spielen: Da tagt dann wieder der Petitionsausschuss.