„Keine ist so krass wie ich“

Ihre Magisterarbeit war herausragend, jetzt promoviert Sahin über die „Semiotik der Kleidung“

AUS BREMEN KLAUS IRLER

Wo man hinschaut: Frauen. Viel an haben sie alle nicht. Hier ein Astralkörper im Bikini, da eine HipHop-Queen in Army-Hosen, dort eine Frau im Wildkatzen-Stil. Sie alle kleben als Poster oder Promofoto auf diesem Kleiderschrank, der das kleine Zimmer mit den hellrot gestrichenen Wänden und der Dachschräge dominiert. Ein Frauenbilder-Patchwork aus der Hochglanzwelt des Rap-Geschäfts. Dazwischen aber auch ein junges Mädchen mit Schleier. Und eine ausgerissene Magazinüberschrift: „Eine Krankheit namens Mann“.

„Klamotten waren schon immer wichtig für mich“, sagt die 25-jährige Reyhan Sahin und öffnet den Schrank, in dem auch ihre Eigenkreationen hängen. Das Modell „Ford Phallus“ beispielsweise: eine blaue Lederjacke, auf deren Rückseite ein Ford abgebildet ist, an den Sahin zwei lederne Penisse genäht hat. „Ich finde es scheiße, Markennamen nachzurennen“, sagt sie, aber Schriftzüge auf Klamotten, die findet sie gut. Also hat sie einen „Fotzenmantel“ entworfen, auch aus Leder – mit der Aufschrift „Fotze“. Außerdem steht da „Lady Ray“, ganz wichtig. Denn „Lady Ray“ ist der Name, den Reyhan Sahin annimmt, wenn sie als Rapperin auftritt. „Lady ‚Bitch‘ Ray“ eigentlich. Bitch? „Ich bezeichne mich selbst als Hure“, sagt Sahin. „Das ist mein Image.“

Ein Image, das Lady Ray mit einiger Professionalität aufbaut. Auf ihrer Website hat sie Fotos von sich veröffentlicht, für die sie sich der Hochglanzästhetik ihrer amerikanischen HipHop-Kolleginnen bedient hat, nur mit den Fingern im Slip statt davor und damit noch einen Dreh weiter in Richtung Männermagazin. Dazu hat sie zwei Songs gestellt, einen, der Jeanette Biedermann und Sarah Connor möglichst tief unter der Gürtellinie beleidigt, sie disst – die im Rap übliche Kollegenbeschimpfung. Lady Ray nennt Biedermann und Connor unter anderem „Stinkmöse“, „Schleimfotze“ oder „Fickflittchen“ und reimt: „Mit dem Zinken darfst du meine Möse poppen / mit solchen Angeboten kann man Nutten wie dich locken.“ Im anderen Song erzählt Lady Ray: „Komm, mein König, mach’s mir jetzt / nimm mich richtig durch und fick mir den Verstand weg“. „Keine ist so krass wie ich“ sagt Lady Ray.

Damit mag sie Recht haben.

Bitches, überdrehte Wut, dreckige Texte – das alles ist nichts Neues im Rap, und das Konzept von Lady Ray scheint zu sein, durch noch mehr Sex und noch drastischere Texte auf sich aufmerksam zu machen. Eine, für die Provokation Trumpf ist und die nun als Frau das macht, was die Aggro-Berlin-Rapper Sido und Bushido in die Medien geschwemmt hat. Trotzdem ist sie im Geschäft anders aufgestellt: Weil Lady Ray Tochter eines anatolischen Gastarbeiterehepaars ist, eine Deutschtürkin der zweiten Generation, in Bremen geboren und aufgewachsen, aber nach traditionell türkischen Werten erzogen.

Außerdem hat Sahin Abitur gemacht, hat an der Uni Bremen Linguistik und Germanistik studiert, hat ihre Magisterarbeit über die „Jugendsprache im HipHop“ geschrieben und dafür prompt den Zuschlag für eine Veröffentlichung im Brockmeyer-Universitätsverlag bekommen – in einem Sammelband, der „drei herausragende Magisterarbeiten“ der Uni Bremen präsentiert. Derzeit sitzt sie an ihrer Doktorarbeit über die „Semiotik der Kleidung“.

Oder auch im Studio von RTL-„Explosiv“, wo sie auf alle möglichen Fragen antwortet, eigentlich aber ihre Idee der Lady Ray erklären will. Lady Ray, die Hardcore-Rapperin mit drei Eigenschaften, die bislang unvereinbar zu sein schienen: erstens Bitch, zweitens Türkin, drittens Akademikerin. Ein Mix, der polarisieren soll und das auch tut. Lady Ray sagt: „Für mich ist das Kunst.“ Und: „Ich habe eine Message: Ich will die Türkin in Deutschland sichtbar machen von einer anderen Seite.“

„Es werden immer nur zwei Varianten von Türkinnen in Deutschland gesehen“, sagt Sahin, „das eine ist die traditionell orientierte Türkin mit Kopftuch, und das andere ist die völlig eingedeutschte Türkin, die ihre eigene Kultur verloren hat.“ Zwischen diesen beiden Polen aber bewege sich die Mehrheit. Sahin ist also angetreten, mit Lady Ray „eine neue Art von Türkin zu zeigen“. Wie sie die beschreiben würde? „Emanzipiert, temperamentvoll, ruppig und stolz. Es muss eine Frau geben, die so denkt und so krass rappt und eine Türkin ist.“

„Frau“ und „krass“ – das fällt bei Lady Rays Internetauftritt schnell ins Auge – dass sie Türkin ist, nicht auf den ersten Blick. Deswegen widmet sich die Debatte in den Foren wohl vorrangig ihrem Geschlecht. Das Publikum ist sich uneins, ob hier Ironie und Emanzipation am Werk sind oder extrem schlichtes Selbstmarketing.

Nun hätte sich die Debatte gut allein im Internet weiterdrehen können, wäre da nicht die Geschichte mit dem öffentlich-rechtlichen Radioprogramm Funkhaus Europa gewesen, für das Sahin gearbeitet hat. Funkhaus Europa wird von Radio Bremen und dem WDR veranstaltet und hat den Anspruch, zur Integration von in Deutschland lebenden AusländerInnen beizutragen. Sahin hat insgesamt vier Jahre in Bremen als freie Mitarbeiterin für Funkhaus Europa Beiträge gemacht, war eine von mehreren Moderatoren mit Migrationshintergrund und damit nah dran an der Zielgruppe.

Im Mai hat der Sender die Zusammenarbeit beendet. „Die Leute bei Radio Bremen haben mitgekriegt, was ich im Internet veröffentlicht habe, und haben gesagt: ‚Entscheide dich. Entweder du nimmst diesen obszönen Scheiß raus oder du gehst‘ “, sagt Sahin. „Ihr müsst wissen, dass Rap zu jungen Migranten gehört“, habe sie daraufhin gesagt, habe weder Songs noch Fotos aus dem Internet genommen und sei „daraufhin geflogen. Weil ich keinen Bock hatte, mich für die zu verbiegen: Was die ‚obszönen Scheiß‘ nennen, ist meine Identität.“

Lady Ray beschimpft Kolleginnen als „Stinkmöse“ und „Schleimfotze“

Sahin fühlte sich in ihrer künstlerischen Freiheit eingeschränkt und diskriminiert. Mit ihrer Geschichte ist sie zur Bild-Zeitung gegangen, die das Thema dankbar ausschlachtete: „Zu sexy! Radio-Moderatorin gefeuert“ war eine der Schlagzeilen, dazu die freizügigen Lady-Ray-Bilder, die ein Bild-Fotograf nicht besser hätte machen können. Radio Bremen verweigert jede Stellungnahme, „weil es sich um eine Personalangelegenheit handelt“. Die Meldung ihres Rauswurfs verbreitete sich via Internet bis in südafrikanische Medien. Lady Ray wird seitdem mit geilen E-Mails zugeschüttet.

Was gut zur Bild-Berichterstattung passt, bei der es nicht um die Idee türkisch-weiblicher Emanzipation ging, sondern um Brüste und kurze Röcke. „Ich bin nicht hässlich, zeige meine Titten und kann mich auch ein bisschen dumm darstellen“, sagt Lady Ray. „Natürlich kann ich ein Sexobjekt sein und gleichzeitig emanzipiert.“ Das ist das eine. Aber wie vermittelt sich dabei ihre türkische Identität? Wenn das mediale Forum erst mal da ist, sagt Sahin, dann „macht die Bitch auch ihr Maul auf und redet“ – und zwar über Integrationsfragen, über Islam und Ehre und darüber, dass „die türkische Kultur ihre Macken hat, genauso wie die deutsche“.

Sie treffe häufig auf Deutsche, die „mir sagen, was ich zu tun habe und was ich als Türkin nicht darf“. Und auf Türken, die irritiert sind bis zur Beschimpfung. Aber nicht nur. Sahin wird abgelehnt und verehrt: „50 Prozent kapieren es, und 50 Prozent kapieren es nicht.“ Sie findet, „mit 50 Prozent Trefferquote habe ich alles erreicht“. Kapiert es auch ihre eigene Familie? „Ich habe zwei richtige Kanakenbrüder, die auf mich aufpassen. Die sehen das als Kunstform an und stehen dahinter.“ Auch für ihren Vater sei es nie ein Problem gewesen. „Der sagt immer nur: ‚Du bis zu modern für die Welt.‘ Meine Eltern lernen da auch was von mir. Früher durfte ich fast gar nichts.“

Denn früher war Sahin einfach ein Gastarbeiterkind, das im Bremer Arbeiterviertel Gröpelingen aufgewachsen ist und ihren Vater bei Amtsgängen begleiten musste, weil der nicht gut Deutsch spricht. Ihre Freiheit habe sie sich erkämpft über die Bildung, über das Abitur und das Studium. Wenn sie einmal selbst Kinder haben sollte, sagt sie, dann will sie die gemäß türkischen Moral- und Wertvorstellungen erziehen: „Ich werde auch zu meiner Tochter sagen: ‚Ich will nicht, dass du mit 16 einen Freund hast.‘ “ Warum? Weil sie die grenzenlose Freiheit der Deutschen falsch findet: „Glück definiert sich nicht über immer mehr Beziehungen.“

Für die zweite und dritte Generation der Türkinnen in Deutschland sei Anerkennung sehr wichtig, sagt Sahin. Momentan verhandelt sie mit einem Berliner Plattenlabel, doch ihr großes Ziel ist es, ein eigenes Label namens „Vagina Records“ zu gründen. Außerdem will sie eine Bühnenshow auf die Beine stellen, bei der Männer nur als Bodyguards oder Lustknaben auf die Bühne dürfen und eine Frau die ganze Show über Liegestütze macht. „Wenn man hier geboren ist und keine Probleme hat, die interkultureller Natur sind, dann lügt man“, sagt Reyhan „Lady Ray“ Sahin. „Oder man ist eingedeutscht.“