Zwischen den Giganten

ABSTURZ Sie war einst eine erfolgreiche Quereinsteigerin. Doch vor zehn Jahren, in der CDU-Spendenaffäre, geriet Brigitte Baumeister zwischen Kohl und Schäuble

Quereinstieg: Brigitte Baumeister ist Diplom-Mathematikerin. Sie war Systemanalytikerin bei IBM. Erst mit 34 Eintritt in die CDU, schon zehn Jahre später im Bundestag. Aufstieg zur parlamentarischen Geschäftsführerin und Partei-Schatzmeisterin.

Skandal: 1999 kam heraus, dass die CDU heimlich ein Schwarzgeldsystem betrieb. Helmut Kohl weigerte sich, die Namen von Spendern zu nennen. Im Januar 2000 gab der damalige CDU-Chef Wolfgang Schäuble zu, 1994 vom Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber 100.000 Mark erhalten zu haben.

Geldübergabe: Aus einem Detail entstand ein Kampf darum, wer lügt. Schäuble will das Geld von Schreiber am 22. September 1994 erhalten und an Baumeister weitergereicht haben. Die widersprach: Sie selbst habe die Schreiber-Spende am 11. Oktober 1994 erhalten und Schäuble übergeben; später habe der ihr das Geld zurückgegeben. Im Sommer vor zehn Jahren kam es zum Showdown vor dem Untersuchungsausschuss: Schäuble gegen Baumeister, Aussage gegen Aussage. Wer lügt, wurde nie endgültig geklärt.

VON ANNE HAEMING

Der Alte hat sie eingeladen. Zwei Monate ist es her, sie war eine von 800 Gästen, aber sie durfte dabei sein bei der Feier zu Helmut Kohls 80. Geburtstag in Ludwigshafen. Er habe ihre Hand gedrückt und „Danke“ geflüstert, sagt Brigitte Baumeister. „Alles kann ich also nicht falsch gemacht haben.“

In jener Gratulationsszene spiegelte sich die Situation der CDU vor zehn Jahren. Die Partei steckte in der Spendenaffäre, als ein illegales Kontensystem aufflog. Es war auch ein Kampf zwischen Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble. Zwischen den Giganten der CDU stand Brigitte Baumeister, die Schatzmeisterin der Partei. Heute wird Kohl gefeiert, Schäuble ist Finanzminister – und Baumeisters Karriere futsch.

Inzwischen ist sie 64, sie hat sich kaum verändert, seit sie vor acht Jahren aus dem Bundestag ausschied; Fönfrisur, Goldrandbrille, Hosenanzug und Pumps. Es ist ein sonniger Tag, als sie an ihrem Esstisch im schwäbischen Böblingen sitzt und fragt, ob man eigentlich das mit dem niederländischen Korrespondenten mitbekommen habe. Es war nach der Bundestagswahl, der Journalist fragte Angela Merkel nach Schäubles Expertise für sein neues Ministeramt: Der erinnere sich ja nicht mal, wenn ihm jemand 100.000 Mark in bar gebe, wie sie ihm da die Finanzen des Landes anvertrauen könne? „Als ich seine Frage hörte, musste ich lachen.“ Sie lacht auch jetzt gut gelaunt.

Die Frage jenes Korrespondenten zielte mitten in das Dickicht aus Daten, Zahlen und Vorwürfen, das im Jahr 2000 verhandelt wurde. Hatte der Waffenlobbyist Karlheinz Schreiber 1994 dem damaligen Fraktionsvorsitzenden Schäuble am Morgen nach einem Sponsorentreffen in Bonn persönlich 100.000 Mark Bargeld übergeben? Oder doch Brigitte Baumeister Wochen später zu sich bestellt und ihr einen Umschlag für Schäuble ausgehändigt? Das ist bis heute nicht endgültig geklärt. Und ob die 100.000 Mark je auf dem Parteikonto angekommen sind, bezweifeln manche nach wie vor. Baumeister verlor in jenem Jahr die Unterstützung von Parteifreunden und auch das Amt der parlamentarischen Geschäftsführerin. Zwei Jahre später war sie ihr Bundestagsmandat los.

Dabei hatte alles so spektakulär angefangen. Es ist die Geschichte einer Quereinsteigerin: Erst mit 34 trat sie in die CDU ein, 1989 kam sie in den Böblinger Stadtrat, ein Jahr später in den Bundestag. Das war 1990, sie war 44 Jahre alt. 1991 machte Schäuble sie zur parlamentarischen Geschäftsführerin, 1992 ernannte Kohl sie zur CDU-Schatzmeisterin, später organisierte sie den Regierungsumzug nach Berlin.

Baumeister war eine aus der Wirtschaft. Dass ihr daher Allianzen innerhalb der Partei fehlten, sollte ihr mit zum Verhängnis werden. Sie sei „erfrischend“ gewesen, heißt es, die attraktive und toughe Frau unter all den „Muttis“, wie es ein Vertrauter von damals formuliert. Ihre Unerfahrenheit sei aufgefallen, anfangs, sagt Wolf-Michael Catenhusen. „Alle fragten sich: Wieso wird so eine Schatzmeisterin?“ Der SPD-Mann hatte als parlamentarischer Geschäftsführer später viel mit ihr zu tun.

„Ich wollte beweisen, dass ich es kann“, sagt sie. Sie hatte Mathematik studiert, als Programmiererin gearbeitet. Das war Ende der Sechziger, eine Zeit, in der Computer ganze Räume füllten, und auf denen sie ein Programm schrieb, um die Dachkonstruktion des Münchener Olympiastadions zu berechnen. Jahrelang war sie die einzige Frau weit und breit, auch als sie bei IBM arbeitete, verheiratet, zwei Kinder.

Spricht man heute mit ihr, kreist alles um die Vergangenheit; ihre Gegenwart schirmt sie ab. „Das versteht doch kein Mensch: Weshalb zoffen die sich wegen 100.000 Mark und darüber, wer sie wem gegeben hat? Im Prinzip ist das doch total irrational“, sagt Baumeister und holt Luft, im Hintergrund tickt die alte Wanduhr. Weshalb also? Sie hat noch immer eine junge Stimme, ein sanftes Timbre, das schnell durchdringend werden kann, mitunter brüchig klingt.

Die Erfahrungen in der Politik haben Brigitte Baumeister misstrauisch gemacht. „Ich frage mich jetzt immer, was jemandes Agenda ist, wenn er etwas tut. Was will der wirklich?“

Sie bleibt in einer fast demonstrativen Offenheit undurchdringlich. Sie erzählt sehr viel, „für den Hintergrund“, also nicht für die Öffentlichkeit. Sie lädt in ihr Zuhause ein und betont, dass sie da eigentlich niemanden hineinlasse, schon gar keine Journalisten. Holt einen vom Bahnhof ab, hat „eine Kleinigkeit“ vorbereitet, Filet in Blätterteig, mit Bohnen und Pfifferlingen. Bietet an, Unterlagen anzuschauen, doch sie hat die falschen da. Und dann sagt sie, die Erfahrungen rund um den Spendenskandal hätten sie misstrauischer gemacht. „Ich frage mich jetzt immer, was jemandes Agenda ist, wenn er etwas tut“, sagt sie. „Was will der wirklich?“

Sie will gemocht werden. Sie erwähnt ihre Kontakte, eine SMS von jenem, ein Anruf von diesem. „Ich will, dass irgendwann die Wahrheit siegt“, sagt sie; darüber schrieb sie 2004 ein ganzes Buch. Ihre Wahrheit geht so: Nachdem Schäuble sich vor dem Parlament erst gar nicht erinnern wollte, versuchte er, vom Verdacht abzulenken, mit den 100.000 Mark habe Schreiber dafür sorgen wollen, dass er sich für eine geplante Panzerfabrik von Thyssen in Kanada einsetzt. Ein spontanes Treffen direkt am Morgen nach einer allgemeinen Sponsorengala der Partei wirke eben unverfänglicher als ein Termin, zu dem die Schatzmeisterin für ihn fährt, und ein weiterer Termin ein Dreivierteljahr später, bei dem es laut Schreiber um das kanadische Rüstungsprojekt gegangen sei. Ihre Version bewertete die Staatsanwaltschaft letztlich als „plausibel“.

„Irgendwann soll er zur Rechenschaft gezogen werden“, sagt Baumeister und meint Schäuble. Als klar wurde, dass sie seine Version der Geldübergabe nicht stützte, kanzelte er sie ab. Bei der Gegenüberstellung vor dem Untersuchungsausschuss kamen ihr die Tränen. Ein „Melodram“, spotteten die Journalisten. Bis heute wechseln die Hauptdarsteller kein Wort miteinander. Sie halte es für alles andere als ausgeschlossen, schrieb sie in ihrem Buch, „dass er mich auf eine schmerzliche, zerrissene Art auch als Frau besitzen wollte“, führt aus, wie er im Fond des Dienstwagens ihre Hand in seine genommen habe, die Vertrautheit der beiden durchzieht das Buch. Schäuble wird zum unglücklich Verliebten stilisiert; sie will sich dazu nicht mehr äußern. In Schäubles Buch über die Zeit lesen sich die entsprechenden Passagen dagegen, als hätte er mit Baumeister nichts weiter zu tun gehabt. Sie erscheint als fragile Person, er rät zu ärztlicher Behandlung.

„Ein Stück weit Bitternis ist drin“, sagt Baumeister über ihr Buch. Auf dem Cover steht: „Welchen Preis hat die Macht?“

Sie taugt nicht zum blonden, heulenden Dummchen, als das sie in den Medien auftauchte. „Ich sollte total unglaubwürdig in der Öffentlichkeit gemacht werden“, sagt sie. Opfer will sie nicht sein, Täterin auch nicht, sie bringt einen ins Stutzen: So bekräftigt sie einerseits, sie habe ihrem Vorgänger, dem Meister der schwarzen Kassen, Walther Leisler Kiep, misstraut, habe die Schatzmeisterei umgekrempelt. Sie erklärt aber auch: „Ab und an war mit Spenden eine Erwartungshaltung verbunden“, nur ausgesprochen worden sei es nie; sie als Schatzmeisterin habe in einer „Vermittlungsfunktion“ zwischen Industrie und Politik agiert.

Das Honorar, das sie damals für das Olympiaprojekt bekommen hatte, investierte sie direkt in ein Grundstück in Böblingen. In dem Haus, das dort entstand, lebt sie bis heute. Es liegt in einem der besseren Wohnviertel, oben am Hang, eines dieser typischen Siebzigerjahrebauten, ein Flachdachquader mit offenem Wohn- und Esszimmer; Teppich fügt sich an Teppich, überall alte Möbel und an den Wänden Stillleben, Öl auf Leinwand. Deckenhohe Fenster öffnen sich in einen blickdichten, sauberen Garten, kurz dahinter beginnt der Wald. „Die Bäume hören sich alles an“, sagt Baumeister lächelnd.

„Ja, was für eine Dreiecksbeziehung, das reinste Shakespeare-Drama!“ HANS-CHRISTIAN STRÖBELE

Baumeister hantiert in der Küche, als sie auf Schäuble und Kohl kommt. Sie wirft in hohem Bogen einen Löffel in die Spüle, dreht sich um und sagt: „Ich war das Salatblatt zwischen den beiden“. Die Konkurrenz von König und Kronprinz, erklärt sie, wurde über sie ausgetragen.

„Ja, was für eine Dreiecksbeziehung“, sagt Hans-Christian Ströbele, der für die Grünen im Spendenskandal-Untersuchungsausschuss saß, „das reinste Shakespeare-Drama!“

Wahrscheinlicher als ihre These, dass das Duell König – Kronprinz auf ihrem Rücken ausgetragen werden sollte, ist, dass sie halt einfach nur für diesen Job von Kohl genommen wurde, weil sie keine Gefahr darstellte: Sie war die Neue, die von den parteiinternen Strukturen keine Ahnung hatte. „Manchmal frage ich mich, ob er mich missbrauchte“, sagt sie. Sie ist dem Alten nicht gram. Egal, dass er ihr öffentlich nicht beistand.

Und nun hofft sie also, „nicht alles falsch gemacht“ zu haben. Sie ist im Vagen zu Hause. Viele ihrer Sätze beginnen einschränkend, „Ich sag mal“. Oft spricht sie von „man“ oder „jemand“ und meint dabei sich selbst. Man fragt sich, was aus der Frau wurde, die einst so präzise die Statik für das geschwungene Dach des Münchner Olympiastadions berechnete.