: Frau Löhrmann greift zu
ROT-GRÜN Noch vor einem halben Jahr war Sylvia Löhrmann so gut wie unbekannt. Nächste Woche soll sie die mächtigste Grüne im Land werden
■ Der Termin: Nächste Woche steht in Nordrhein-Westfalen der Machtwechsel an. Am Mittwoch stellt sich Hannelore Kraft der Wahl zur Ministerpräsidentin. Zwar kommen Rot und Grün zusammen nur auf 90 der 181 Stimmen im Düsseldorfer Landtag, aber im zweiten Wahlgang reicht das aus. Anschließend will Kraft ihre Ministerinnen und Minister ernennen, die am Donnerstag vereidigt werden sollen.
■ Die Ämter: In NRW soll Sylvia Löhrmann Schulministerin werden. Zudem bekommen die Grünen die Ressorts Gesundheit und Umwelt. Bisher gibt es vier grüne Ministerinnen und drei Minister – etwa Reinhard Loske (Bremen/Rot-Grün), Christa Goetsch (Hamburg/Schwarz-Grün) oder Simone Peter (Saarland/Jamaika). Plus Oberbürgermeister: Dieter Salomon (Freiburg), Boris Palmer (Tübingen), Horst Frank (Konstanz).
VON MATTHIAS LOHRE
Die Zettel haben ihr geholfen. Handschriftlich, säuberlich und blau auf weiß hatte Sylvia Löhrmann zusammengefasst, was sie den Journalisten sagen wollte, und vor allem, wie. Es war Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen. Von der „Zweitoption“ einer Koalition mit der CDU redete die Grünen-Politikerin mit der Kurzhaarfrisur, die jener Renate Künasts ein bisschen ähnelt. Und sie sprach von einer „Rutschbahn“, auf die die schwarz-gelbe Regierung in Düsseldorf geraten sei.
Damals war Sylvia Löhrmann auf Bundesebene noch eine Unbekannte. Doch sie hat recht behalten. Schwarz-Gelb kam auf der Rutschbahn zu Fall. Und die Frau mit den Zetteln soll nun stellvertretende Ministerpräsidentin des bevölkerungsreichsten Bundeslandes werden. Am Mittwoch wollen SPD und Grüne im Landtag eine rot-grüne Minderheitsregierung wählen. Sylvia Löhrmann, 53, früher Gesamtschullehrerin für Deutsch und Englisch, soll das Schulministerium übernehmen.
Magere Säue
Löhrmann, geboren in Essen, ausgebildet an der Uni Bochum, ist ein Gewächs des Ruhrgebiets. Sie mag Worte, die bodenständig und eindeutig klingen. „Vom Wiegen wird die Sau nicht fetter“, sagte sie, als die bisherige Landesregierung sich oft für ihre Schulpolitik lobte. Das kam an.
Aber Löhrmann, die so handfest wirkt, ist nach fünfzehn Jahren im Düsseldorfer Landtag nicht so naiv, im falschen Moment ein klares Wort zu sagen. Im monatelangen Wahlkampf machte sie keinen einzigen Fehler. Zwar propagierte sie brav, wie von der Partei gewünscht, eine Koalition mit der SPD. Doch ein Bündnis mit der CDU war für sie offiziell eine „Zweitoption“. Eine clevere Formulierung: Das ließ die Möglichkeit eines schwarz-grünen Bündnisses offen, klang zugleich aber abfällig, nach zweiter Wahl. Misstrauische Parteifreunde rief Löhrmann auch persönlich an, um ihnen zu versichern: „Du kannst mir glauben, mir geht es nicht um Ministerposten.“ Kein falsches Wort, keine Unachtsamkeit sollte die ausbalancierte Kampagne zum Kippen bringen.
Die Taktik ging auf: Die NRW-Grünen, die innerparteilich als eher links gelten, ließen die befürchtete Rebellion gegen die Führung ausfallen. Selbst junge Grüne wie Parteiratsmitglied Arvid Bell, der Löhrmanns Kurs kritisch beäugte, loben sie heute: „Früher gab es das machohafte rot-grüne Bündnis im Bund“, sagt Bell. „Heute ersteht Rot-Grün unter zwei Frauen wieder auf, die auf Dialog setzen, nicht auf Basta-Politik.“
Ihr Wahlerfolg und ihr Verhandlungsgeschick haben Löhrmann zu einer Frau gemacht, die das Gesicht ihrer Partei in den kommenden Jahren mit prägen wird. Denn nun greift sie zu. Als Vizechefin der NRW-Regierung wird sie immerhin die höchstrangige Regierungsgrüne sein, denn bisher regieren Grüne nur in den Miniländern Bremen, Hamburg und Saarland. Am Ende zieht die Frau am Rhein noch Aufmerksamkeit von den Führungsleuten in Berlin ab, die aufstrebende Grüne außerhalb der Hauptstadt stets misstrauisch beäugt haben.
Bekommen die Grünen mit Löhrmann auf Bundesebene eine neue starke Frau? „Erst mal wird die Regierungsarbeit Löhrmann ganz einnehmen“, sagt Antje Hermenau. Die Fraktionschefin im sächsischen Landtag saß zuvor zehn Jahre im Bundestag. „Aber dann wird ihre Erfahrung womöglich noch im Bund gebraucht. Man sieht ja, wohin allzu lange Oppositionszeit führt, an der FDP.“
In der Minderheitsregierung unter SPD-Chefin Hannelore Kraft kommt auf Löhrmann viel Arbeit zu. Die designierte Schulministerin wird ihre Vorstellungen ohne Mehrheit im Parlament umsetzen müssen. Radikale Umbauten am dreigliedrigen Schulsystem, wie es das Grünen-Programm vorsieht, wird es nicht geben. Bis 2015 will Rot-Grün 30 Prozent aller weiterführenden Schulen in Gemeinschaftsschulen umwandeln. Selbst dieses Ziel wird die Minderheitsregierung womöglich nicht erreichen.
Löhrmann, der Abwägende, kommt dieser äußere Zwang recht. Die Pragmatikerin will alles vermeiden, was nach einem „Schulkrieg“ aussehen könnte. Sie weiß: Ein Streit über dieses sensible Thema würde jene Bande zur CDU zerstören, die sie mühsam geknüpft hat.
ANTJE HERMENAU, GRÜNEN-POLITIKERIN
Die Scharnierpartei
Löhrmanns Offenheit zu allen Seiten passt zum Kurs der Bundespartei. Wie die Parteichefs Cem Özdemir und Claudia Roth wiederholt sie die Floskel, den Grünen gehe es um Inhalte, und mit wem man die meisten umsetzen könne, mit dem werde halt regiert. Der FDP brachte dies das Image der „Umfallerpartei“ ein. Löhrmann und die Grünen schaffen es, dem Vorwurf der Beliebigkeit zu entgehen.
Die Frau, die sich einst zu den Regierungslinken zählte, steht damit für die Grünen als Scharnierpartei – offen für Koalitionen fast jeder Couleur.
Vorsichtig wird Sylvia Löhrmann bleiben. Nur weil Hannelore Kraft heute die SPD führt, haben nicht alle Sozialdemokraten ihre Borniertheit aus 38 Jahren an der Macht abgeschüttelt. Mentalitäten sind langlebig, Löhrmanns Gedächtnis ist gut. Und zur Not hat sie ja ihre Zettel.