Da geht was, Alter!

Zidane oder Figo:WMtaz Ein Senior zieht heute ins Finale ein. Aber warum sind die alten Herren so erfolgreich?

Ja, es ist wahr, Portugal wie auch Frankreich schicken eine Reihe alter Haudegen aufs Gelände. Und siehe da: Zinedine Zidane ließ – zur Freude aller, nur nicht der Brasilianer – alten Zauber aufblitzen. Bravo! Daniel Cohn-Bendit muss nicht zwei Jahre Trauer tragen wegen der drohenden schmählichen Entsorgung der Fußballgrößen der Grande Nation durch respektlose Sportschreiberei. Auch Luis Figos Fans dürfen den fast schon Abgehalfterten noch ein-, zweimal auflaufen sehen: „Das ham sie sich verdient“, die Alten, im Club der letzten vier, auch wenn man noch nie ein Team gesehen hat, das so sehr von seinem Gegner ins Halbfinale geschoben, gebeten, ja genötigt werden musste wie die Portugiesen von den Engländern.

Irgendwo las ich zu Anfang der WM die Prognose, die Engländer würden, wie alle Insulaner, schnell nach Hause wollen. Schöne Bemerkung. Dafür haben sie es allerdings verdammt lange ausgehalten. Aber ob das nun ein gesellschaftlicher Trend irgendwie für „die Alten“ sei? Ich glaube eigentlich nicht. Die im Schnitt ebenso alten Brasilianer mit Methusalem Cafu, geboren 1970, fahren ja nach Hause. Dass damit ein überaltertes Heldenteam die verdiente Heimreise antritt, ist einhellige Meinung. Das Mitleid ist nicht sehr groß mit den Grün-Gelben. So wie man mitleidlos auch Zidane, Lilian Thuram, Claude Makelele, Fabien Barthez abgehakt hätte, hätte es nicht so gut geklappt gegen Spanien. Wie meistens hängt so etwas an ein paar Zentimetern. Und daran, ob man nur „alt“ ist oder zum beleidigten Götzen erstarrt.

Größer als mit Brasilien war das Mitleid mit Ghana, dem im Schnitt jüngsten Kader dieser WM, 25 Jahre und 2 Monate. Wobei die Frage ist, ob man deren Ausscheiden jugendlicher Unerfahrenheit oder Problemen der Schwarzafrikaner mit dem Toreschießen zuschreiben soll. Die jüngste spielende Mannschaft zuletzt waren aber die Deutschen: Fünf seiner Spieler könnten noch U 21 spielen, betonte Klinsmann nach dem Argentinienspiel. Statistisch müsste es geklappt haben mit dem Weiterkommen der Klinsmänner gegen Italien: Seit 1962 ist kein Team mehr Weltmeister geworden, das im Schnitt älter als 28 Jahre war, damals Brasilien, die waren sogar im Schnitt über 30 Jahre alt. Nach dieser Altersgrenze kämen 2006 die Teams von Frankreich, Portugal und Italien für den Titel nicht in Frage.

Aber was heißt Alter? Die wirklich entspanntesten, freudigen Gesichter dieser WM habe ich nach Frankreichs 3:1 über Spanien gesehen, absolut jung, Zidane, Vieira, Thierry Henry. Keine ausflippende, überschäumende Freude; nein: Sie strahlten wie kleine Jungs nach einem Coup. Während jüngere, verhinderte Helden wie Wayne Rooney oder Maxi Rodriguez die Nerven verloren und ihre Markenstiefel zum Körpertreten benutzten. So wie man aus Wut den Hocker wegtritt, wenn man an der Playstation verliert. Oder einfach den Ball nicht hergeben will, wie Portugals Deco gegen Holland. Die Playstation-Generation hat noch nicht die Macht übernommen auf dem Feld, so viel kann man sagen. Sie wurde aber auch, wie im Falle des Argentiniers Lionel Messi, nicht recht ins Turnier gelassen von Senor José Pekerman, ebenso Robinho nicht von Alberto Parreira.

Insgesamt also wohl mehr ein psychisches Problem als die Frage von Alt oder Jung. Die argentinische Mannschaft, offensichtlich voll gestopft mit der Boulevardlegende vom gestohlenen Titel 1990 gegen Deutschland, lag insgesamt im falschen Saft. Jeden Pfiff des Schiedsrichters quittierten sie mit dem höhnischen Lächeln des ungerecht Gestraften, des Outcasts, der schon weiß, dass er verschaukelt werden soll. Wie eine Vorstadtgang aus Spätpubertierenden. „Die Welt ist gegen uns!“ Und: „Ihr werdet schon sehen!“

Auch bei den Portugiesen blitzte so etwas auf, dort angestachelt von einem alten Hasen, Trainer Felipe Scolari, dem Mann im Bademeisterlook, König der falschen Gestikulationen oder auch Rüpel vom Beckenrand. Der Mann mit den meisten WM-Siegen. Ich schätze, heute gehen die Lässigeren als Sieger vom Feld.

KLAUS THEWELEIT

Dreieinhalb Wochen und 57 Weltmeisterschaftsspiele sind nun schon vergangen, seit das mittlerweile zur Legende fantasierte Duell zwischen Argentinien und der Elfenbeinküste ausgetragen wurde. Bis zum Halbfinale galt dieses 2:1 vielen als das beste Spiel der WM. Und Skeptiker griffen dankbar auf diesen Befund zurück, um das vermeintlich enttäuschende Niveau des Globalturniers zu beklagen. Dabei handelt es sich um eine WM der Besonnenheit, der Vorsicht, der taktischen Reife – schlechten Fußball bieten die Teams beileibe nicht. Vermutlich schrecken die Spieler der Elfenbeinküste immer noch mitten in der Nacht aus dem Schlaf hoch, gequält von der Erkenntnis, dass eine etwas umsichtigere, weniger naiv-offensiv-emotionale Spielweise in Deutschland sehr weit hätte führen können.

Betrachtet man nämlich die vier Halbfinalisten, dann zeigt sich die Kunst der Fehlervermeidung, die Qualität der weisen Offensiventscheidung als große gemeinsame Eigenschaft. Selbst die Deutschen haben diese Lektion im Laufe des Turniers verinnerlicht, vom Eröffnungsspiel bis zum Halbfinale kassierten sie nur noch ein einziges Gegentor, und das nach einer Standardsituation gegen Argentinien. Italien hat bis zum Halbfinale im gesamten Turnier nur ein einziges Tor kassiert, die Portugiesen auch, und Frankreich erlaubte sich nach zwei schwachen Auftaktpartien in der Vorrunde in den drei folgenden Spielen ebenfalls nur noch ein weiteres Gegentor (beim 3:1 gegen die jungen Spanier).

Diese Weltmeisterschaft ist ein Turnier der Ordnung, der taktischen Disziplin, der ausgereiften Organisation, und daher ist es kein Wunder, dass Teams, deren Schlüsselpositionen mit älteren Spielern bestückt sind, am Ende Erfolg haben. Am coolsten wirken dabei die Franzosen, denn ihre Alten schenkten dem Publikum sogar das Spektakel, für das eigentlich die Jungen zuständig sind. Gewiss mussten sie in der Vorrunde ein wenig zittern, man schrieb sogar die Errungenschaften der 98er Weltmeisterelf in Grund und Boden: Mit den brennenden Autos der Vorstädte im Hinterkopf wurden die Ikonen des Multikultimodells begraben. Das offene und tolerante Frankreich mit seinem Helden, dem Algerier Zinedine Zidane, war tot. Jetzt kommen die Interpreten etwas ins Straucheln. Die Alten um Zidane (34), Makelele (33), Thuram (34), Barthez (35), Wiltord (32) und auch Henry (28) haben die Parallelität von Fußball und Gesellschaft durchbrochen, und Staatspräsident Jacques Chirac konnte sein Glück kaum fassen auf der Tribüne des Frankfurter Stadions, wo der bezaubernde Altmeister Zidane mit der wohl beeindruckendsten Einzelspielerleistung des gesamten WM-Turniers die Brasilianer bezwang.

Frankreichs heutigen Halbfinalgegner, die Portugiesen, in dieses Schema des betagten WM-Fußballers einzusortieren, wäre unterdessen etwas gezwungen. Obwohl auch sie mit Luis Figo einen großen Altmeister in ihren Reihen haben. Doch Figo (33) spielt solide, mehr nicht, die Säulen dieser Mannschaft sind hingegen fast alle im besten Fußballeralter: Deco (28), Maniche (28), Nuno Gomez (29), Fernando Meira (28) oder Miguel (26). Allerdings spielt auch dieses Team trotz Jungstar Christiano Ronaldo (21) alles andere als einen wilden, inspirierten Angriffsfußball. Trainer Luiz Felipe Scolari (57), Brasiliens letzte Hoffnung im Turnier, hat einen Stil installiert, der kaum zu überbieten ist an Reife, Abgeklärtheit, ja altersweiser Vorsicht.

Wirklich jugendlich unter den Halbfinalisten waren bislang nur die Deutschen, und betrachtet man die Altersstruktur der Teams, hätten es eindeutig Klinsmanns Jungspunde verdient, Weltmeister zu werden. Einen Titelträger mit Durchschnittsalter von über 30 Jahren gab es zuletzt 1962, die Brasilianer waren das. Zahlenfreaks der Fifa haben ausgerechnet, dass die zehn Weltmeister seit der 62er-WM in Chile exakt auf ein Durchschnittsalter von 26 Jahren und 11 Monaten kommen. 2006 gibt es genau einen Teilnehmer, der bis auf den Monat genau dieses Durchschnittsalter aufweist: Deutschland.

DANIEL THEWELEIT