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Archiv-Artikel

TV für Fortgeschrittene

Erfolgsformate wie die US-amerikanischen „Desperate Housewives“ haben vorgelegt: Nun wollen auch deutsche TV-Serien weg von der linearen Erzählweise hin zur komplexen Beziehungsstruktur

Von Wilfried Urbe

„Die Ideen kommen aus unserem eigenen Leben, aus dem Leben all unserer Autoren, das ist es, vielleicht sind wir deshalb so erfolgreich.“ An den internationalen Erfolg von „Desperate Housewives“ hatte John Pardee anfangs noch gar nicht gedacht. Jetzt konnte der Produzent und Autor der US-Kultserie auf dem Monte Carlo TV Festival eine „Goldene Nymphe“ für die Reihe entgegennehmen.

„Die Grundlagen menschlicher Emotionen und Beziehungen scheinen überall auf der Welt gleich zu sein, alle Menschen versuchen ihren Kindern einen guten Start ins Leben zu ermöglichen, versuchen ein glückliches Leben zu führen.“ Nach einer Zeit der Bildschirm-Abstinenz hat besonders der neue Erzählstil dazu geführt, dass amerikanische Produktionen wie „Desperate Housewives“ oder „24“ weltweit gekauft und gezeigt werden, besonders auch in Deutschland. „Solche Serien“, erzählt Pardee, „konzentrieren sich sehr stark auf das Beziehungsgeflecht von Menschen untereinander, mit starken Charakteren, dabei werden die Geschichten ineinander verwoben und so über viele Folgen erzählt, das gab es vorher nicht.“ Nach all den Reality-Formaten sei es, so der Produzent, Zeit für etwas Neues gewesen.

Das kann Jörg Winger von der Ufa nur bestätigen. Der Produzent der Krimi-Serie „Soko Leipzig“ war in Monte Carlo auch nominiert. Mittlerweile läuft die Reihe erfolgreich in Frankreich, Italien, Tschechien und Ungarn. Demnächst kommen Spanien und Skandinavien dazu. Die internationale Anerkennung führt Winger darauf zurück, dass die Geschichten und Charaktere „viel emotionaler, gar nicht so typisch deutsch erzählt“ würden.

Aus Wingers Sicht geht der Trend im Bereich Serie dahin, dass sich die klassische Serienstruktur auflöst. Dabei sind lineare Geschichten, in denen pro Episode ein Handlungsablauf von Anfang bis Ende erzählt wird, in Deutschland zwar noch die Regel. Aber bald könnten nach US-Vorbild auch bei uns Produktionen laufen, in denen, so Winger, „man einer Gruppe von Menschen folgt und deren Erlebnisse als zusammenhängende Geschichte über beispielsweise 24 Folgen erzählt“.

Zurzeit werden solche Projekte nach US-Vorbild bei der Ufa entwickelt, um sie dann den Sendern vorzustellen. „Der Erfolg wird natürlich von den Zuschauern abhängen, die das alte Schema gewohnt sind, aber wenn es gut gemacht ist, wird es die Zuschauer begeistern“, sagt Winger, der bedauert, dass in Sachen deutsche Eigeninitiativen bisher zu wenig stattfinde: „Es ist schade – die Amerikaner beobachten die Realität und holen aus ihr die Ideen für ihre Geschichten, und wir beobachten die Amerikaner.“ Allerdings verfügen US-Produzenten über wesentlich höhere Budgets. Der Pilot für „Lost“ etwa kostete 14 Millionen Dollar.

Adaptionen von US-Serien kann man sich auch bei Sat.1 vorstellen, wie Sprecherin Kristina Faßler bestätigt – auch wenn „Bis in die Spitzen“ nach englischem Vorbild die Quotenerwartungen nicht erfüllen konnte: „Wenn wir ein tolles Format entdecken oder ein Produzent mit einer guten Idee zu uns käme, wären wir auf jeden Fall offen. Serielle Anschlussformate haben es tendenziell schwerer als Serien mit inhaltlich im Wesentlichen abgeschlossenen Episoden. Als Mehrteiler funktionieren sie jedoch häufig sehr gut.“

RTL produziert zurzeit „Post Mortem“ mit Hannes Jaenicke, der einen Gerichtsmediziner spielt. „Das hat eine Tiefe, es ist teilweise etwas düster, das ist ein Stil, der in deutschen Serien bisher vermieden werden sollte“, beschreibt RTL-Sprecher Claus Richter, „wir passen die Erzählweise den US-Maßstäben an.“ Eine bloße Kopie von „CSI“ soll die neue Serie aber nicht sein: „Das würde auch keinen Sinn machen. Eine ‚CSI‘-Folge kostet Millionen von Dollar, das sind hier unerreichbare Budgets.“ Billige Optik hatte offenbar auch zum Misserfolg der deutschen „Lost“-Adaption „Verschollen“ mit seinen unspektakulären Geschichten geführt. Richter: „Bei Verschollen haben die Zuschauer das vermisst, was bei ‚Lost‘ zu sehen war.“

Die Qualität europäischer Produktionen jedenfalls hat zugenommen. Das zeigte auch das Festival, wie Björn Erichson, Direktor des Senderverbundes European Broadcasting Union (EBU) und Jury-Mitglied, beobachtet hat: „Es ist wirklich schade, dass wir so wenig von unseren verschiedenen Produktionen wissen. Die BBC zeigt englische und amerikanische Filme, Deutschland zeigt deutsche und amerikanische Filme. Ich habe hier einen hervorragenden spanischen Film gesehen, mit fantastischen Schauspielern, aber der wird außer in Spanien nirgends laufen.“

Deutsche jedenfalls müssen den internationalen Vergleich auch jenseits des Soko-Einsatzgebietes Leipzig nicht scheuen: In Monaco wurden Philip Voges und Alban Rehnitz in der Kategorie „Beste TV-Serien“ als beste europäische Produzenten für „Türkisch für Anfänger“ geehrt.