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Archiv-Artikel

Zwölf Zeitzonen bis Teheran

AUS LOS ANGELESADRIENNE WOLTERSDORF

Das, was Anthony Azizi ist, wären viele gern: Chefberater der Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika. Bislang hat es aber nur Azizi so weit gebracht, zumindest in seiner Rolle als Vince Taylor in der erfolgreichen ABC-Fernsehserie „Commander in Chief“. Darin ist der aus dem Iran stammende Azizi der palästinensischstämmige Berater der von Geena Davis gespielten US-Präsidentin und öffnet ihr die Augen für die durchaus vertrackten Fragen der Nahostpolitik.

Doch Azizi sitzt nicht im Oval Office, sondern unter Palmen in einem Café in Hollywood. Hier gibt der Fernsehstar Szenemagazinen Interviews. „Ich spiele den Berater im Weißen Haus und komme im wahren Leben von der ‚Achse des Bösen‘ – verrückt, was?“ Als politisch denkender Mensch ist der smarte 37-Jährige davon überzeugt, dass Präsident Bush den Iran niemals „Reich des Bösen“ nennen würde, hätte er mehr persische Freunde. Es ist mittlerweile das Trauma der zwei Millionen hier lebenden Exiliraner, dass das Weiße Haus sie in eine Ecke mit Terroristen und gefährlichen Schurken stellt. Sie, das alte persische Kulturvolk. Sie, die seit der iranischen Revolution in Scharen in die USA geflohen sind. Sie, die hier als Anwälte, Wissenschaftler und Ärzte ein ökonomisches Schwergewicht sind. Bis heute können sie nicht fassen, dass der 11. September 2001 alle Migranten aus muslimischen Ländern unter Generalverdacht gestellt hat. Kaum eine Community ist so tief im öffentlichen Ansehen gesunken wie die Exiliraner.

Frieda Limonadi, trotz ihres Namens eine waschechte Teheranerin mit schulterlangem brünettem Haar, serviert Wassermelone. Ihren Mann, Ali Limonadi, nennt sie neuerdings „Al“. Der Intendant von IR-TV, dem Fernsehkanal der iranischen Community in Los Angeles, hört das nicht gern. „Ich sage ‚Al‘, weil ich mir in letzter Zeit Sorgen mache“, rechtfertigt sich seine Frau. „Die Amerikaner mögen den Iran nicht, ich sage schon nur noch, ich komme aus Persien.“ Farsi, ihre Muttersprache, spricht sie außerhalb ihres Hauses auch nicht mehr so laut. „Ich habe manchmal Angst, dass einer, der seinen Sohn gerade im Irak verloren hat und uns im Supermarkt Farsi reden hört, ausflippt. Die Amerikaner können hier ja nicht zwischen Irak und Iran unterscheiden, da bin ich lieber vorsichtig.“ Ali Limonadi pflichtet ihr bei. In London oder Berlin, sagt er, wüssten selbst die Taxifahrer genug über den Iran, um eine Fahrstrecke lang diskutieren zu können. „In Los Angeles sagen sie immer noch ‚Eirän‘, das sagt doch eigentlich alles.“ Als Ali Limonadi 1979, zehn Tage nach der Machtergreifung der Mullahs im Iran, in Los Angeles ankam, lebten hier gerade mal 30.000 seiner Landsleute. Seither sieht Limonadi die iranische Community im Takt der aus Teheran einfliegenden Jumbojets wachsen. Heute sind es so viele, an die 600.000, dass die Kalifornier dem neben Beverly Hills gelegenen Stadtteil Westwood längst den Spitznamen „Teherangeles“ verpasst haben. Die meisten Mitglieder des alten Regimes, die kamen, hatten nicht nur ausreichend Geld in der Tasche, sondern auch die Vorstellung, unter einem neuen Schah bald wieder nach Hause zurückkehren zu können.

27 Jahre und fünf Monate sind vergangen, seit Schah Mohammed Reza Pahlevi aus dem Iran in die USA geflohen ist, Limonadi zählt genau mit. Anders als die Mehrheit seiner Landsleute trauert ihm der Dokumentarfilmer nicht nach. Noch weht entlang des Westwood und des Ventura Boulevards vereinzelt die Fahne des Schahregimes. Inmitten der Leuchtreklamen, die in Farsi und Englisch blinken, wo Restaurants „Moktader“, Machthaber, heißen. In schicken Cafés diskutieren Besucher auf Persisch, was das Beste für ihre Heimat sei. Es fallen die Namen amerikanischer Politiker, das Wort „Sanktionen“ ist zu hören, immer wieder „Regimewechsel“.

„Anhänger des in Washington lebenden Schah-Sohnes, Volksmudschaheddin, Demokraten, Feministinnen, Geheimniskrämer, bei uns können sie alles finden“, erzählen die Limonadis, die auch ein Branchenbuch der Community herausgeben. Sogar Freunde des derzeitigen Regimes sollen hier leben. Die hätten erstaunlich viel Geld, doch was sie genau hier tun, wisse keiner. Teherangeles – eine Gerüchteküche.

Genau das aber bereitet den amerikanischen Informationsjägern, die zwischen Läden mit iranischer Popmusik, Büchern und Teppichen das örtliche FBI-Büro betreiben, Kopfschmerzen. Besonders seit die Bush-Regierung hektisch nach Details über das iranische Atomprogramm fahndet. Natürlich ist Teherangeles, als größte Community außerhalb des Iran, das heißeste Jagdgebiet für Geheimdienste. Auch Wichtigtuer, die durchblicken lassen, sie hätten der „Agency“ gerade wieder was gesteckt, sind hier zu finden. Das meiste Gehör von allen Gruppen aber finden im fernen Washington ausgerechnet die Mudschaheddin, die zugleich auf der Terrorliste von Außenministerin Condoleezza Rice stehen. Die sitzen freilich nicht in Cafés und plaudern.

„Wir müssen rausgehen und die Menschen aufklären, wer wir sind und was wir wollen“, sagt deshalb Babak Sotoodeh. Der Anwalt mit eigener Kanzlei im an Los Angeles angrenzenden Orange County hat Shawn Mokthari zum Gespräch hinzugebeten. Gemeinsam mit dem pensionierten Ingenieur führt er seit einigen Jahren die Alliance of Iranian Americans (AIA) an. Die Organisation setzt sich für den Schutz der bürgerlichen Rechte von Exiliranern ein. Sotoodeh wirkt gehetzt, gleich muss er zum Flughafen, doch seinen selbst gestellten Auftrag, über seine Landsleute zu informieren, nimmt er sehr ernst. Geduldig erzählt er, wie die AIA-Mitglieder immer wieder mit Distriktanwälten, mit dem Sheriff, der Polizei sprechen, wie sie Broschüren verteilen, zu iranischen Feiertagen und Festen einladen – alles, um den angeschlagenen Ruf wiederherzustellen. „Nach dem 11. September war der FBI-Chef hier völlig verängstigt, dem fiel plötzlich auf, wie viele Iraner hier leben“, erzählt Sotoodeh. „Ich habe ihm erst einmal erklärt, dass wir Iraner der Freiheit wegen hierher gekommen sind, dass wir Extremismus ablehnen, dass unsere Frauen keine Burkas tragen und dass wir uns als Amerikaner fühlen.“ Sotoodeh, der etwas bleich wirkt, ist besorgt, dass dieses mühsam aufgebaute Vertrauensverhältnis wieder zerstört werden könnte, dass ihnen die Weltpolitik dazwischenfunken könnte. Dass etwas passiert, wo selbst die Rechtswissenschaft ihm nicht weiterhelfen kann.

Es hat ihn und Mokthari zum Beispiel schwer beunruhigt, als einige Zeit nach den Terroranschlägen etwa tausend Exiliraner auf offener Straße verhaftet wurden. Grundlage war das damals hastig erlassene Antiterrorgesetz. „Babak war dann derjenige, der zusammen mit anderen Menschenrechtsorganisationen 2002 die erste Sammelklage gegen die US-Regierung eingereicht hat“, schildert Mokthari die damalige Situation. Mittlerweile, obwohl die Klage nie verhandelt wurde, hat die Regierung die flächendeckende Überprüfung von Muslimen „ausgesetzt, aber nicht eingestellt“, sagt Sotoodeh. Er schaut besorgt. „Wir Iraner müssen aufpassen“, sagt er, dann muss er los zum Flughafen.

Auch Ali Limonadi findet, dass das „so nicht geht“, wie die USA mit dem Iran umgehen. Je länger er über die Washingtoner Arroganz gegenüber seinem Heimatland spricht, desto häufiger muss sich Limonadi den Knopf an seiner Hemdbrust zuknöpfen – beim Gestikulieren springt er immer wieder aus dem ausgeleierten Loch. Er hofft aber auch, dass die Hardliner in Washington Druck auf das verhasste Regime machen. „In Teheran sitzen über 100.000 Menschen in Gefängnissen“, mahnt er, „ich hoffe, dass die Amerikaner das Kriterium der Menschenrechte sehr hoch hängen, bevor sie sich denen annähern.“ Die USA und der von ihnen propagierte Regimewechsel – das mag Limonadi so schlicht nicht sagen – sind eigentlich seine einzige Hoffnung, doch noch einmal in die Heimat zurückkehren zu können.

Auch Elahe Amani hat sich Gedanken darüber gemacht, wie sich die USA im Irankonflikt verhalten sollten. „Vor dem Irakkrieg waren viele in unserer Community für Bombenangriffe auf die Heimat“, erinnert sich die Politologin, die seit 1983 in Long Beach bei Los Angeles lebt. Amani lehrt „womens studies“ und Nahostpolitik an der Universität und hat den Meinungsumschwung ihrer Landsleute genau beobachtet. „Viele waren mit dem Krieg gegen den Irak zunächst einverstanden, weil sie Saddam gehasst haben. Inzwischen sind die meisten aber gegen Bomben, weil sie im Irak gesehen haben, dass so ein Krieg eine langwierige und blutige Angelegenheit sein kann.“ Amani zuckt mit den Schultern. „Ich glaube, die Iraner müssen sich selbst helfen. Wir leben hier schließlich zwölf Zeitzonen entfernt.“