Das Gute ward das Schöne
Die Niederlage des Schiedsrichters

WM-FINALE Fünf essentielle Lehren aus dem 1:0-Erfolg der spanischen Schönspieler gegen brutale Niederländer – zieht ANDREAS RÜTTENAUER

Howard Webb wurde ausgepfiffen, als ihm Fifa-Chef Sepp Blatter nach dem Spiel für seine Leistung gratulierte. Er war einer der auffälligsten Männer auf dem Platz. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als ständig zu pfeifen. Die Niederlande präsentierten sich als letzte Kloppertruppe des modernen Fußballs. Zu streng wollte der englische Referee aber auch nicht sein. Lange tat er alles, um alle Spieler irgendwie im Spiel zu halten. Weil er demjenigen (Nigel de Jong) keine Rote Karte gezeigt hat, der seinen Gegenspieler mit einem Karatetritt gegen die Brust aus dem Weg geräumt hat, wurde er von den Spielern nicht für voll genommen. Die Niederländer foulten weiter, was das Zeug hielt. Doch nicht nur für Fouls ist der Schiedsrichter zuständig. Er muss auch entscheiden, ob es einen Eckball oder einen Strafstoß gibt. Hollands Trainer Bert van Marwijk war außer sich darüber, dass der Angriff, der zum 1:0 führte, überhaupt stattgefunden hatte: „Der Schiedsrichter hat bei einer Aktion zuvor keinen Eckball gegeben, obwohl jeder aus zehn Kilometern Entfernung gesehen hat, dass es eine Ecke war.“ Diskussionen über Schiedsrichterleistungen haben die WM beherrscht. Das Finale machte da keine Ausnahme. Aber gegen fiese Fußballer hilft auch kein Videobeweis.

Der Sieg des Offensivfußballs

Es ist gerade noch einmal gut gegangen. Die Mannschaft, die Fußball spielen wollte, hat sich gegen die Mannschaft, die das Spiel zerstören wollte, durchgesetzt. Spaniens Trainer Vicente del Bosque war das ganz wichtig. „Im Finale hat sich der Offensivfußall, der Qualitätsfußball durchgesetzt“, sagte er. Wieder einmal hatten die Spanier ein Spiel dominiert. Wieder einmal war ihr Gegner viel weniger (43 Prozent) in Ballbesitz als die Spanier. Weltmeister ist die Mannschaft geworden, die immer und überall auf dem Spielfeld die Kontrolle ausüben will. Doch der spanische Fußball ist zwar dominant, aber nicht unbedingt zwingend. Alle vier Spiele der K.-o.-Runde hat der Weltmeister mit 1:0 gewonnen. „Die beste Mannschaft“ (Bert van Marwijk) hätte jedes dieser Spiele auf irgendeine Art auch verlieren können. Das Glück bei dieser WM war mit den Spielerischen. Und noch eine gute Nachricht für den Offensivfußball: Diego Forlan, der fünfmal für Uruguay getroffen hat in diesem Turnier, wurde von den Journalisten zum besten Spieler dieser Weltmeisterschaft gewählt. Er ist derjenige, der dem Fußball aus Uruguay ein neues Gesicht gegeben hat. Uruguays Teams galten lange als die letzten echten Kloppertruppen auf den Globus. Jetzt spielen sie. Gut so!

Der Superstar im Kollektiv

Andres Iniesta wäre um ein Haar vom Platz gestellt worden. Stinksauer war er auf Mark von Bommel, der nicht aufhören wollte, ihm auf den Füßen herumzustehen. Er schubste ihn einmal einfach weg. Howard Webb ließ die Rote Karte indes stecken. Der meistgefoulte Spieler des Abends durfte weitermachen. Was für ein Glück für Spanien und was für ein Glück für das Spiel! Die besten Pässe, die schönsten Tricks und am Ende das Tor. Iniesta war der herausragende Offensivakteur des Finales. „Die Mannschaft hat hervorragende Arbeit geleistet“, sagte er nach dem Spiel. Immer wieder kamen die Arbeiter und umarmten ihren Torschützen. Messi, Cristiano Ronaldo und Wayne Rooney haben den WM-Kosmos längst verlassen. Dafür hat das spanische Fußballkollektiv einen ganz anderen, den echten WM-Star hervorgebracht: Andres Iniesta. Und wie es sich für einen echten Star gehört, sorgte er für die rührendste Herz-Schmerz-Geschichte des Finales. Sein Tor widmete er seinem Freund Dani Jarque. Der war Mittelfeldspieler bei Espanyol Barcelona und ist 2009 im Alter von 26 Jahren in einem Hotelzimmer an Herzversagen gestorben. Iniesta: „In diesen Augenblicken gehen einem viele Erinnerungen durch den Kopf, das ist bewegend.“

Das Scheitern des Gewaltfußballs

Was hatten viele Beobachter noch geschimpft nach dem Halbfinale der Deutschen gegen die Spanier. Man hätte physischer spielen müssen, hieß es, und nicht wenige schimpften gar darüber, dass kein deutscher Spieler eine Gelbe Karte gesehen hat. Die Niederlande haben es im Endspiel mit den Gegenprogramm zum deutschen Abwehrversuch probiert. 28-mal haben sie ihre Gegenspieler gefoult, nicht selten richtig rüde. Sieben Gelbe Karten bekamen sie gezeigt. John Heitinga flog in der Verlängerung mit Gelb-Rot vom Platz. Geholfen hat es nichts. Sie sind genauso gescheitert wie die Deutschen. Und doch gab es einen Unterschied. Im Halbfinale brauchten die Spanier eine Standardsituation, um zum Erfolg zu kommen. Die Holländer wurden, wenn auch spät, ausgespielt. Das ist die gute Nachricht des Finalabends: Treten ist echt von gestern. Wenn schon scheitern, dann wenigstens in Schönheit.

Der Sieg des Lebens über das Spiel

Am Ende gehört das Feld immer den Fußballern. Wenn sie ihre Medaillen bekommen haben und den Pokal, dann tollen sie über den Platz, gerade so, wie es ihnen gefällt. Gut so, dass nicht auch noch Fifa-Präsident Sepp Blatter mit auf die Ehrenrunde geht. Der musste die Bühne schnell wieder räumen, nachdem er, assistiert von Südafrikas Staatspräsident Jacob Zuma, den WM-Pokal an Spaniens Torhüter Iker Casillas übergeben hatte. Den sollte eigentlich Nelson Mandela dem Siegerkapitän in die Hand drücken. So hatte es Blatter drei Tage vor dem Finale angekündigt. Am liebsten hätte er Mandela wohl gezwungen, die Siegerehrung durchzuführen. Dessen Enkel beklagte den Druck, den die Fifa auf seinen Opa ausgeübt habe. So durfte Möchtegernfriedensnobelpreisträger Blatter nur kurz die Hand des Friedensnobelpreisträgers drücken, als dieser eine Stunde vor Anpfiff des Finales seine Winkerunde über den Platz beendet hatte. Zu mehr ließ sich der 91-Jährige von der Fifa nicht überreden. Für viele Menschen im Stadion war dies der bewegendste Moment des Abends. Lauter als bei Mandelas Kurzbesuch in Soccer City war es auch nicht, als Andres Iniesta das entscheidende Tor geschossen hat. Das Leben hat am Tag des WM-Finals über Spiele gesiegt.