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Archiv-Artikel

Regierung ignoriert Altenbericht

Nach einem Jahr verabschiedet das Kabinett seinen Seniorenbericht. Doch weil der sich gegen die Rente mit 67 ausspricht, erklärt die Regierung ihn für „überholt“. Müntefering will Maßnahmen für bessere Jobchancen im Alter präsentieren

Spätere Rente? Nur wenn die rot-grünen Kürzungen gestoppt werden!

VON ULRIKE WINKELMANN

Das Bundeskabinett hat gestern den „5. Altenbericht“ beschlossen beziehungsweise, wie sich der Regierungssprecher Ulrich Wilhelm rasch verbesserte, „zur Kenntnis genommen“.

Der „5. Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland“ trägt den Titel „Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft“ und wurde von einer Gruppe von Wissenschaftlern für das Familien- und Seniorenministerium erstellt. Seit August 2005 lag er dort schon vor. Dann kam die Wahl, und dann musste die neue Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) erst über eine Stellungnahme nachdenken, erklärte ihre Sprecherin gestern.

Und die lautete – aus dem Mund der Sprecherin – so: Die „Expertenmeinung wurde von der politischen Wirklichkeit überholt“. Der Bericht, heißt das, ist für die Regierung nicht mehr relevant. Dies bezieht sich insbesondere auf eine Kernaussage des 526-seitigen Werks: Die „Rente mit 67“ ist so, wie bisher geplant, falsch.

Uneins waren die im Jahr 2003 von der damaligen Familineministerin Renate Schmidt (SPD) berufenen elf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich bloß darin, unter welchen Bedingungen sie die Absicht der Regierung ablehnten, das Renteneintrittsalter anzuheben.

Ein Teil der Kommission, so heißt es im Bericht, ist dagegen, „um soziale Ungleichheiten zu vermeiden“. Erstens bleibe die Arbeitsmarktlage bis mindestens 2015 angespannt, weshalb man mit einer späteren Rente viele Ältere in Langzeitarbeitslosigkeit schicke – insbesondere die schlecht Ausgebildeten und chronisch Kranken. Zweitens gehe die Rente mit 67 auf Kosten der zunehmenden Anzahl Menschen mit befristeten Jobs. Und nicht zuletzt stürben gerade die schlecht Ausgebildeten und chronisch Kranken früher, weshalb eine spätere Rente deren ohnehin schmalen Rentenbezug noch verringere.

Der andere Teil der Kommission findet die spätere Rente angesichts der im Durchschnitt steigenden Lebenserwartung in Ordnung – unter einer Reihe von Bedingungen. Erstens müsse die Arbeitsmarktlage sich verbessern, zweitens die Weiterbildung im Beruf ausgebaut werden. Drittens dürfe „das Leistungsniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht in dem Maße reduziert“ werden, wie dies durch die rot-grünen Rentenkürzungen längst geschehen ist.

Ein einzelnes Mitglied verlangt die Abschaffung aller starren Altersgrenzen und fordert die Festlegung eines „Grundarbeitsvolumens“, das eine „sichere Altersversorgung garantiert“.

Weder die Beachtung dieses letzten Vorschlags noch die Rücknahme der Kürzungen der künftigen Renten um ein gutes Viertel sind freilich von der schwarz-roten Regierung beabsichtigt. Vielmehr will Rentenminister Franz Müntefering (SPD) im Herbst ein Gesetzespaket vorlegen, wonach ab dem Jahr 2012 bis 2029 das Renteneintrittsalter in Monatsschritten auf 67 angehoben wird. Der Altenbericht werde hierbei ein „Impuls in der Debatte“ sein, erklärte Münteferings Sprecher gestern. Doch stehe die Regierung zu ihrer Entscheidung.

Noch bevor auch das Kabinett Mitte Juli in die Sommerpause verschwindet, will Müntefering ein Maßnahmenbündel präsentieren, das die Jobchancen Älterer verbessern soll. Diese „Initiative 50 plus“ hatte er im Winter angekündigt, nachdem es nicht nur aus der SPD, sondern auch aus der Union breite Kritik am Rentenplan gegeben hatte: Solange es kaum Jobs für Ältere gebe, dürfe das Rentenalter nicht steigen. Sonst zwinge man die Menschen zur vorgezogenen und damit kürzeren Rente.

Die Linksfraktion verlangte gestern, den Bericht ernst zu nehmen. Der Rentenpolitiker der Linken, Volker Schneider, erklärte, ebenso wie die Kommission fordere die Linke, „dass die gesetzliche Rentenversicherung auch weiterhin ein Leistungsniveau garantieren muss, das deutlich über der steuerfinanzierten, bedarfsgeprüften Mindestsicherung liegt“.

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