Stadtsoziologe und Aktivist

Was die Bundesanwaltschaft Andrej Holm übel genommen hat, hat seinem Ruf unter Kollegen nicht geschadet

Dass am Wochenende in Berlin bei Gluthitze 5.000 Demonstranten gegen die „Gentrifizierung“ auf die Straße gingen, geht auch auf seine Kappe: Der Stadtsoziologe Andrej Holm hat das universitäre Wort vom profitablen Styling der Innenstädte populär gemacht. Tätig mitgeholfen hat dabei die Bundesanwaltschaft. Die hat 2007 einen Haftbefehl gegen Holm erwirkt, weil in Bekennerschreiben der „militanten gruppe“ (mg) ebenfalls von Gentrifizierung die Rede war. Nun haben die Terroristenjäger die Ermittlungen eingestellt. Der Haftbefehl gegen Holm war bereits drei Wochen nach seiner Festnahme vom Bundesgerichtshof gekippt worden.

Schon die Welle der Solidarität hat Generalbundesanwältin Monika Harms damals schlecht aussehen lassen. Saskia Sassen und Richard Sennett, die Doyens der amerikanischen Stadtsoziologie, sprachen von „Guantánamo in Germany“, ihr bundesdeutscher Kollege (und Holms Doktorvater) Hartmut Häußermann startete eine Solidaritätskampagne. Doch Holm wollte nicht nur den Wissenschaftler geben, dessen kritische Forschung kriminalisiert wird. Er bekannte sich auch als linker Aktivist. In der taz sagte er: „Es ist kein Verbrechen, wenn wir den Elfenbeinturm der Theorien verlassen und uns in die Protestbewegungen einmischen.“

Theorie und Praxis sind bei Holm, 1970 in Leipzig geboren, eng mit dem Berliner Szenestadtteil Prenzlauer Berg verknüpft. Hier erfuhr er aus eigener Anschauung, wie aus dem widerspenstigen Milieu der späten DDR-Zeit zuerst ein „Künstlerviertel“ und später das schicke Domizil für Porschefahrer und den „Bionade Biedermeier“ wurde.

Holm beschrieb aber nicht nur den Zusammenhang von Mietsteigerung, Umwandlung in Eigentumswohnungen und der Verdrängung der alten Bewohner, er engagierte sich auch in Betroffenenvertretungen und Bürgerinitiativen. Was ihm die Bundesanwaltschaft übel genommen hat, hat seinem Ruf unter Kollegen nicht geschadet: Wissenschaftler und Aktivist zu sein ist auch an deutschen Universitäten nicht mehr völlig verpönt. So endete das Verfahren gegen Holm mit neuen Protesten gegen Gentrifizierung. Persönlich aber hat es Holm geschlaucht. Bis zuletzt wurde er von der Bundesanwaltschaft observiert. UWE RADA