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Archiv-Artikel

„Ich dachte, ich steh dazu“

LINKS Christoph Assheuer wurde als Terrorist gesucht – der er nie war. Jetzt hat er einen autobiografisch gefärbten Roman über seine Generation geschrieben

Auf dem Weg ins Offene

Felix Guthammer wird Mitte der 1950er Jahre in Westdeutschland geboren. Früh merkt der Junge aus gutbürgerlich-katholischer Familie, dass in Wirtschaftswunderdeutschland jede Menge Dreck unter dem Teppich liegt. Das Erbe der Nazizeit, das die Generation seiner Eltern nicht sehen will, stinkt zum Himmel.

Felix revoltiert, wie so viele seiner Altersgenossen. Er beschäftigt sich mit Rock, Religion, Psychologie, Politik und Sexualität, trifft auf dem Gymnasium in der zweiten Hälfte der 1960er auf Gleichgesinnte, die beginnen, sich in kleinen, linken Gruppen zu organisieren.

Wegen seiner Aktivität in der Roten Hilfe gerät Felix in den frühen 1970ern in den Fokus der Polizei, die ihn, den antiautoritären Sponti, fälschlicherweise für einen gefährlichen Linksterroristen hält. Er taucht ab, indem er nicht von einem Englandbesuch zurückkehrt.

Dort trampt Felix durchs Land. Er wohnt bei Leuten, die er eben erst kennengelernt hat, trifft früher Aussteiger, arbeitslose Philosophen, spirituelle Sucher. Dabei wird er sowohl zum Zeugen als auch zum Protagonisten der entstehenden alternativen Bewegung und findet in den Jahren bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland 1983 seinen eigenen Weg zwischen individueller, kollektiver und sexueller Befreiung.

Felix’ Revolution ist die Revolution Christoph Assheuers – aber Felix Guthammer eine Romanfigur und das Buch keine Autobiografie. Der Autor beschreibt in Kapiteln wie „Von der Generation Rohrstock zur Generation Woodstock“ den Weg der Bundesrepublik von einer nur oberflächlich demokratisierten zur heutigen offenen Gesellschaft. Und dabei macht das Lesen Spaß. RÜDIGER ROSSIG

■ Christoph Assheuer: „Felix’ Revolution. Erzählung aus der Vorzeit“. Klak Verlag, Berlin, 545 Seiten, 16,90 Euro. Lesung: 24. Januar, TEK, Köpenicker Straße 189

INTERVIEW RÜDIGER ROSSIG

taz: Herr Assheuer, wie sind Sie, ein Mittelklassekind aus dem Sauerland, als mutmaßlicher Terrorist auf die Fahndungslisten von Polizei, BKA und Interpol geraten?

Christoph Assheuer: Ich war im Herbst 1973 zum Studieren nach Berlin gegangen und hatte mich dort der Roten Hilfe angeschlossen. Da gab es ganz verschiedene Leute, meist undogmatische Linke und Spontis. Mit bewaffnetem Kampf hatte das nichts zu tun. Aber wir machten Gefangenenarbeit auch für Leute, die wegen politischer Sachen saßen. Dabei bekam man mit, wie brutal der Staat mit denen umging. Man konnte für eine Parole auf einer Autobahnbrücke länger in den Knast gehen. Oder für die Veröffentlichung einer Erklärung der Revolutionären Zellen. Wegen der repressiven Justiz war ich bereit, Leuten, die sich davor schützen wollten, meinen Personalausweis zu geben. Und zwar nach dem Prinzip, je weniger du weißt, desto besser. Das heißt, ich kannte nicht die Person, die dann später ihr Bild in meinen Ausweis geklebt hat.

Sie waren in London, als der Benutzer Ihres Ausweises, Andreas Vogel von der Bewegung 2. Juni, festgenommen wurde. Was ist das für ein Gefühl, wenn man erfährt, dass man gesucht wird?

Es war eine Nachricht, die überhaupt nicht in mein Leben passte. Ich war sehr ernüchtert von der linken Szene in Berlin und hatte eine Theatergruppe gegründet, um was anderes zu machen. Sicherlich hatte ich auch Angst, es waren ja viele Menschen erschossen worden, auf beiden Seiten. Die Frage war, stelle ich mich, sag ich: Die Papiere haben sie mir geklaut, tut mir leid? Aber ich war bekannt in der Szene, hatte viele politische Prozesse besucht, an vielen Demos teilgenommen. Das hätte komisch ausgesehen, sich da zu entschuldigen. Nee, ich dachte, ich steh dazu. Ich wollte zwar in die BRD zurück, bin letztlich aber in England gestrandet.

Wie war Großbritannien damals, Mitte der 1970er?

Heute sagen viele: Was war ich blöd und dogmatisch. Sie sehen nicht, dass das Teil eines Lernprozesses war

Es war eine Zeit guter Musik und ungeheuer großer Räume für alternative Projekte. Als Illegaler habe ich mich dort zurückgehalten, habe aber in einigen der tausend besetzten Häusern gewohnt. Später habe ich eher Heil- und Theatergeschichten gemacht, was mir gut getan hat, weil es mich raus gebracht hat aus der engen politischen Sichtweise, die ich kannte. Es gab eine Unmenge kluger therapeutischer und kultureller Ansätze, auch Colleges und Schulen, die sehr innovative Methoden unterrichtet haben, etwa im Bereich von Psychologie, Osteopathie, taditioneller chinesischer Medizin. Hier wurde das oft als Esoterik diffamiert, aber das hatte mit Gurus wie Bhagwan wenig zu tun. Es ging darum, an sich selbst, am eigenen Bewusstsein zu arbeiten und damit nach außen zu gehen.

Sie legen Wert darauf, dass Ihr Roman „Felix’ Revolution“ keine Autobiografie ist, sondern ein Buch über Ihre Generation. Der Untertitel lautet „Erzählung aus der Vorzeit“. Was heißt das?

Atmosphärisch scheint diese Zeit Lichtjahre von heute entfernt. Was oft untergeht in der heutigen Diskussion um „1968“ ist, dass wir eine neue und zwangsläufig chaotische Bewegung waren, junge Menschen, die sich nach etwas ganz Anderem sehnten. Heute sehen viele Leute zurück und sagen ganz weise: Ach, was war ich blöd, dogmatisch, linksextrem. Sie sehen nicht, dass das Teil eines Lernprozesses war, dass es extrem schwierig war, sich von der autoritären Nachkriegsgesellschaft abzunabeln. Ideologisch hat sich seitdem unheimlich viel verändert, was schon ein kurzer Blick ins Kursbuch, den roten Schülerkalender oder frühe Ausgaben der taz klarmacht. Dritte Welt, Umwelt- oder Frauenbewegung – das kam mehr und mehr in den Fokus. Und führte dann zu der breiten gesellschaftlichen Akzeptanz für Dinge wie das Weltsozialforum, Attac oder einen radikalen Menschenrechtsdiskurs, der uns heute ganz normal vorkommt, aber natürlich nicht eingelöst ist.