schurians runde welten
: Bepinselte Beklatscher

„Wenn man ihn so spielen sieht, denkt man, dass eher andere als er mit dem Fußball aufhören sollten.“ (Lilian Thuram)

Weil Fußball so ähnlich funktioniert wie Autos oder Kleidung, weil kaum jemand ohne sein kann, sich aber trotzdem von den anderen unterscheiden will, ist das Design entscheidend. Wer ein Auto mit Wankelmotor fährt, dazu beige Hemden trägt, Trainingsjacke und die Haare strähnig, der schaut halt anders Fußball als ein Astra-Fahrer mit Tote-Onkelz-Aufklebern und Sonnenbrand. Für die einen wurden Fanmeilen freigegeben, die anderen treffen sich in einer selbstverwalteten Cocktailbar an einer Ausfallstraße im Ruhrgebiet.

Irgendwann in der Vorrunde habe ich Spieltag mal Spieltag sein lassen. Nach dem Abendessen gingen wir noch auf ein Getränk vorbei, setzten uns auf die unbequeme Bank vor der Gastwirtschaft. Weil Thirtysomethings auf die heimische Servicewüste stehen, wie sie immer mehr an Deutschland lieben wollen, musste ich die Getränke selbst aus dem voll besetzten Schankraum holen.

Auf niedrigen Sitzmöbeln kauerten dort BrillenträgerInnen mit Hochschulabschluss vor einer Leinwand. Es war mucksmäuschenstill. Ich schlich zur Theke, flüsterte „Caipirinha, Bier“, sah mich um, dann aufs Fernsehbild, hustete und fragte laut: „Sach‘ ma‘, stör‘ ich?“

Natürlich schauten auch die Stilbildenden keinen französischen Autorenfilm über Promiskuität, Plappern und andere postmoderne Lebensentwürfe, sondern Fußballweltmeisterschaft; Frankreich (immerhin) gegen Südkorea. Henry hatte früh getroffen. Der Raum reagierte dann mit einem heftigen Zischen auf meine kurze Bemerkung. Ich verdrückte mich.

Kaum besser als das mitfühlende Fußballpublikum machen es die Fernsehbeklatscher. Eigentlich könnte es mir egal sein, dass die deutsche Jugend offenbar die Sendung mit der Maus falsch verstanden hat. Nein, in dem Kasten ist niemand! Nein, es kann euch niemand hören! Doch wenn bepinselte Enthusiasten nicht nur vor sich hin brüllen, sondern von ihrer Nachbarschaft den gleichen sinnlosen Unfug einfordern, hört der Spaß auf. Ich habe mir die meisten WM-Spiele dann zuhause angesehen.

7.7. Lippstadt – Schalke

Schon gehört? Schalke kopiert Reformator Klinsmann. Sie haben mit Peter Boltersdorf einen Teamer verpflichtet, der sich auf die Lehren des US-Psychologen Peter Reiss beruft: Reiss glaubt, dass 16 Motive das Leben eines jeden Menschen bestimmen, die jeder aber unterschiedlich gewichtet, so dass sich Milliarden persönlicher Lebensmotivprofile ergeben. 16? Lebensmotivprofile? Auf Schalke? Geht‘s noch, Herr Boltersdorf?! CHRISTOPH SCHURIAN