Spuren von Plutonium

„Ideen verfolgen, die politisch nicht gern gesehen sind“: Martin Kalinowski vom neuen „Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung“ in Hamburg wünscht sich eine atomwaffenfreie Welt

Interview: PETRA SCHELLEN

taz: Herr Kalinowski, an der Uni Hamburg gibt es bereits das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH). Welche Aufgaben soll darüber hinaus das neu gegründete „Carl Friedrich von Weizsäcker-Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung (ZNF)“ erfüllen?

Martin Kalinowski: Wir haben einen naturwissenschaftlichen Schwerpunkt, während sich das ISFH stärker auf Politikwissenschaft konzentriert. In Zukunft werden wir im selben Gebäude untergebracht sein und gemeinsam ein interdisziplinäres Kompetenzzentrum für Friedensforschung darstellen.

Inwiefern unterscheidet sich Ihr Zentrum von bestehenden bundesweiten Institutionen?

Es gibt in Europa bisher fast keine etablierte institutionalisierte naturwissenschaftliche Friedensforschung. Bisher haben die Regierungen ihre eigenen Experten, die sich mit den technischen Fragen, etwa der Rüstungskontrolle, befassen. Sie publizieren nicht, sie betreiben wenig Öffentlichkeitsarbeit, sie beraten die Politiker nicht auf transparente Weise und folgen sehr engen Vorgaben seitens der Regierung. Daher fehlt ihnen die Unabhängigkeit. Wir dagegen können Ideen verfolgen, die politisch nicht gern gesehen sind. Mein Anliegen ist es außerdem, jene Forschungsprojekte auszuwählen, von denen ich weiß, dass sie niemand anders bearbeitet.

Zum Beispiel?

Nehmen wir die Atom-Debatte um den Iran, die zu ungeheuren Polemiken gegen den Iran geführt hat. Solchen Entwicklungen, die die Medien forcieren, möchten wir mit sachlichen Informationen entgegenwirken.

Wieviel Einfluss haben Sie aber, wenn das alles kaum jemand hören will?

Der ist natürlich begrenzt. Wir arbeiten aber mit internationalen Netzwerken und Nicht-Regierungsorganisationen zusammen, die unser Wissen in die Öffentlichkeit transportieren. Der zweite Bereich, mit dem wir uns befassen, ist die Entwicklung neuer Messmethoden, mit denen die Inspektoren noch sicherer nachweisen können, ob ein Land heimlich Waffen produziert. Wir wollen die Inspektoren mit besserer Technologie ausrüsten, um schnell und effizient ein Kernwaffenprogramm entdecken zu können.

Welche Methoden greifen da?

Wir arbeiten daran, Spurengase in der Atmosphäre zu messen. Die werden durch den Wind überall hintransportiert, und man muss ja nur den Wind zurückverfolgen, um zu wissen, wo die Gase herkamen. Damit kann man Orte entdecken, an denen heimlich gearbeitet wird.

Ein konkretes Projekt?

Ich habe jetzt von der internationalen Atomenergieorganisation den Auftrag bekommen, eine Methode zu entwickeln, mit deren Hilfe man Krypton -85 in der Atmosphäre nachweisen kann – ein Indikator für Plutoniumabtrennung. Wir wollen hier in Hamburg eine Messtechnik entwickeln, mit deren Hilfe man kosteneffizient Proben nehmen kann – die so genannte Ultraspurenanalyse, die mit sehr kleinen Gasproben auskommt. Die Inspektoren brauchen also kein großes Equipment mehr, sondern können ihre Luftprobe in einer Flasche mitnehmen. Eine solche Technik könnte der Atomenergieorganisation ein Werkzeug für entsprechende Inspektionen an die Hand geben.

Werden Sie aber auf Dauer unabhängig bleiben können? Werden nicht Politiker versuchen, Ihnen hereinzureden?

Das tun sie natürlich – aber unsere Unabhängigkeit sehe ich nicht gefährdet. Die einzige Gefahr liegt darin, dass wir Forschungsmittel akquirieren müssen. Da gibt es zwei Wege: Einerseits versuchen wir Methoden zu entwickeln, die zugleich für die Grundlagenforschung interessant sind. Andererseits treten wir bevorzugt an solche Geldgeber heran, die ein politisches Interesse an unseren Forschungen haben – meistens Stiftungen.

Eins Ihrer Ziele ist eine kernwaffenfreie Welt. Wie wollen Sie aber die bereits existierenden Kernwaffen abschaffen?

Zu nennen wären zwei Strategien: einerseits das schrittweise Sich-Vorarbeiten von einem Vertrag zum nächsten. Schön wäre es zum Beispiel, den Teststoppvertrag endlich in Kraft zu setzen. Die zweite ist die Marginalisierung, die darin besteht, immer mehr kernwaffenfreie Zonen zu schaffen und auch die Kernwaffen aus Deutschland abziehen zu lassen.

Viel zu tun. Wie ist Ihr Institut personell ausgestattet?

Neben meiner Stiftungsprofessur gibt es drei Doktorandenstellen. Außerdem arbeiten wir mit der schon vorher existierenden Forschungsstelle Biowaffenkontrolle zusammen, die drei Personalstellen hat.

Die Laufzeit Ihres Instituts?

Die ersten fünf Jahre finanziert die Deutsche Stiftung Friedensforschung. Anschließend übernimmt die Universität. Das war Bedingung für die Gründung des Instituts. Sinnvoll wären in jedem Fall insgesamt mindestens zehn Jahre Laufzeit. Aber eine zeitliche Begrenzung ist explizit nirgends festgeschrieben. Das Projekt ist also im Prinzip auf Dauer angelegt.

Auf wen geht die Idee einer Professur für Naturwissenschaften und Friedensforschung eigentlich zurück?

Ersonnen haben dies 1997 die Mitglieder von „FONAS“, dem Forschungsverbund für Naturwissenschaft, Abrüstung und Sicherheit. Man ist dann an verschiedene Stiftungen herangetreten, bis sich die Deutsche Stiftung Friedensforschung bereit fand, das Projekt zu finanzieren. Die hat die Professur bundesweit ausgeschrieben. Beworben haben sich Hamburg und Darmstadt. Ein Vorteil von Hamburg war sicherlich, dass man hier die Gründung unseres Zentrums versprochen hat, sodass die Professur nicht frei schwebt, sondern attraktiv angebunden ist.